Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

208 Zwanzigstes Kapitel 
immer der lange, von Rüstern oder Weißbuchen eingefaßte lauben— 
artige Gang vor, der links in gerader Richtung hinläuft und nicht 
fern vom hintersten Ende des Gartens abschließt, wobei er sich 
perspektivisch immer mehr verengt. Ungemein schön in den ersten 
Sommertagen, vorn unter dem Gezweige grüner Schatten, hinten 
am Ausgange grünes Licht, zeigt er selbst im Winter mit den feinen 
Flechten und Moosanflug an seinen Stämmen einen grünlichen 
Schimmer. Ich glaube, der Garten ist einer der Lieblingsspazier- 
gänge des Kanzlers, und ich hoffe, wenn das Haus fällt, wird er 
wenigstens erhalten bleiben. Ich hoffe das auch aus dem Grunde, 
weil hier mancher inhaltreiche Plan erdacht und mancher folgen- 
schwere Entschluß gefaßt worden ist. Oft ist der Minister hier noch 
in später Abendstunde hin= und hergewandelt, indem er in Zeiten 
wichtiger Entscheidungen, die von ihm angeregt worden waren, auf 
Kunde vom Könige wartete. Hier kam ihm in der Nacht vom 14. 
zum 15. Juni des Siegesjahres 1866 der Gedanke, Moltke zu be- 
wegen, das preußische Heer vierundzwanzig Stunden eher, als ur- 
sprünglich beabsichtigt war, die Grenze und damit den Rubikon 
überschreiten zu lassen, und hier sah man ihn 1870 in den Tagen 
der Kriegserklärung wiederholt, nachdenklich einen dicken Stock 
schwingend, den immergrünen Gang auf= und abschreiten und von 
Zeit zu Zeit durch einen der bereitstehenden Diener einen seiner 
Mitarbeiter zu sich zitieren, um ihm Aufträge zu Depeschen, Tele- 
grammen oder Zeitungsartikeln zu erteilen. 
Indem wir nun aus dem Garten hinter Wilhelmstraße sechs- 
undsiebzig zurückkehren, bemerken wir, daß die beiden Flügel, mit 
denen es nach dieser Seite hin endigt, nur Wirtschaftsräume, Stuben 
für die Dienerschaft, Ställe und dergleichen enthalten, und daß der 
Hof zwischen ihnen von einem alten breitwipfligen Nußbaum be- 
schattet wird. 
Steigen wir die Treppe hinter dem Windfang im Haupthause 
hinauf, und treten wir durch die Glasthür an ihrem obern 
Ende, so kommen wir in ein kleines Vorzimmer, wo, wenn der 
Kanzler in Berlin ist, Bediente in Livree und Kanzleidiener im 
Frack die zu Besuch, Audienz oder Vortrag Erscheinenden erwarten. 
Eine Thür zur Linken führt von hier in ein zweites kleines Vor- 
zimmer, eine andre zur Rechten aber bringt uns in einen geräu-
	        
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