Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

214 Zwanzigstes Kapitel 
Der Schreibtisch des Ministers, den unsre Nachkommen wohl 
in einem historischen Museum antreffen werden, nimmt ungefähr die 
Mitte des Zimmers ein, hat eine Breite von etwa dritthalb und 
eine Tiefe von etwa zwei Metern und ist so gestellt, daß der an 
ihm Arbeitende das Gesicht der zuletzt geschilderten Wandhälfte mit 
dem Olgemälde zukehrt. Über ihm hängt ein rotwollner Klingel- 
zug von der Decke herab, der manch liebes mal den Kanzleidiener 
vor der Thür zu dem Befehle rief, mich vor diesen Schreibtisch 
herauf zu zitieren. Man eilte dann, alles stehen und liegen lassend, 
ohne Umsehen hinauf, stand vor dem Chef wie der Leutnant vor 
dem General, Hand an der Hosennaht, nur Ohr und Gedächtnis, 
und eilte darauf wieder an seinen Platz, um das Befohlne so ge- 
schwind als thunlich zu Papier zu bringen. Mißverständnisse 
durften nicht vorkommen, Fragen in betreff des Gehörten waren 
ebenfalls meist ausgeschlossen, die Vorstellung, daß etwas nicht an- 
gehen werde, wäre zorniger Antwort begegnet. Es mußte angehen, 
und siehe da, es ging auch meistens. Eine strenge Schule, aber 
wer die Ehre haben will, mit einem großen Manne ersten Ranges 
direkt zu verkehren, ihm und damit seinem Lande zu dienen, von 
ihm zu lernen, muß sich über einige Härten in seiner Natur hinweg- 
setzen können, und das war hier um so leichter, als der Kanzler 
niemals etwas nachtrug, und als er außerdienstlich in hohem Grade 
liebenswürdig sein konnte. Übrigens erging es andern, auch sehr 
Hochgestellten, nicht besser. „Ich fürchte mich allemal, wenn ich 
zu ihm hinauf muß,“ sagte Exzellenz von Thile eines Abends 
zu mir. 
Betrachten wir den Schreibtisch und dessen Zubehör weiter, 
so stehen vor ihm zwei wie das Sofa überzogne Polsterstühle, 
in deren einem der Fürst beim Erscheinen von Besuch Platz zu 
nehmen pflegt, während er den Gast sich in den andern zu setzen 
einlädt. Beim Arbeiten dient ihm der hinter dem Schreibtische 
stehende eichene Armsessel mit niedriger durchbrochner Lehne. Zur 
rechten Hand hat er neben sich eine Etagere, auf der oben vor 
den Füßen eines großen Windhundes von Bronze Couverts und 
Briefpapier, weiter unten Ledermappen mit Akten und ganz zu 
unterst vier oder fünf dicke Folianten liegen. Zur Linken des 
Schreibenden ist eine andre Stellage mit einigen Handbüchern. Ich
	        
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