18. April 1871 Einundzwanzigstes Kapitel 225
langsam. Der Gedanke fliegt der trägen Realität voraus, und
schon mancher Freiheitskämpfer hat sich mit dem Spruche Lessings
zu trösten gehabt, wonach es zu allen Zeiten Männer gegeben hat,
die richtige Blicke in die Zukunft des Menschengeschlechts gethan,
aber sich darin geirrt haben, daß sie für das Werk von Monaten
und Jahren hielten, wozu die Geschichte Menschenalter und Jahr—
hunderte braucht. Eine der merkwürdigsten Seiten des heute in
Frankreich spielenden Dramas ist es, daß die Entwicklung der
Dinge den meisten Revolutionären zu schnell geht; die Ereignisse
laufen dem Gedankengange, den Wünschen, Hoffnungen und
Interessen des Einzelnen voraus. Am 12. März im ganzen Lande
die Wahl einer Volksvertretung durch allgemeines Stimmrecht und
die Einsetzung einer Regierung durch diese Körperschaft. Am 18. schon
in Paris die rote Fahne aufgepflanzt, und zwar in allem Ernste.
Garibaldi, bei dessen Erscheinen im europäischen Zentralmob zu
Genf vor einigen Jahren die Alpen in Ehrfurcht ihr Haupt ent—
blößten, der wieder ein paar Jahr früher in London von der höchsten
Aristokratie gehätschelt wurde, sieht sich in der Lage, die ihm zu—
gedachte große Rolle in dem Drama abzulehnen. Jetzt kommt die
Reihe auch an die Polen. Den Freunden Polens in London und
den seit vierzig Jahren im Hotel Lambert zu Paris thätigen
Diplomaten ist der Sprung bis zum General Dombrowski zu groß.
Der Graf Ladislaus Plater will in seinem gestern mitgeteilten
Schreiben von einer Solidarität der polnischen Emigration mit den
Pariser Roten nichts wissen; jeder solle für seine Handlungen allein
verantwortlich sein. Aber wird denn die Welt über diesem Schreiben
vergessen, daß in allen Ländern die Masse dieser Polen auf seiten
der Parteien gestanden hat, die die staatliche Ordnung bekämpfen,
die gesellschaftliche Ordnung unterwühlen, und daß es als der
Ruhm der polnischen Emigration von andern und von ihr selbst
verkündigt worden ist, diesen Beruf zu erfüllen? Wir glauben
nicht. Wir sind vielmehr der Meinung, daß die Welt in dieser
Verwahrung des polnischen Grafen ein indirektes Geständnis er-
blicken wird, daß dem so gewesen ist, und daß man in den Vor-
gängen an der untern Donau einen neuen Beweis sehen wird,
daß es bis jetzt nicht anders geworden ist.“
Abends zum Chef gerufen, der nachstehendes in die Nord-
Busch, Tagebuchblätter II 15