Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

228 Einundzwanzigstes Kapitel 20. April 1871 
dem konfessionellen Gegensatz nicht jeden politischen Grundsatz unter— 
ordnen, sondern sich zum Teil auf den Boden konservativer Prin— 
zipien und einer ehrlichen Förderung der gemeinsamen nationalen 
Interessen mit der Reichsregierung vereinigen und dieselbe unter— 
stützen würde, in ähnlicher Weise wie die streng kirchlich gesinnten 
in der evangelischen Kirche dies thun, ohne auf ihre Unabhängigkeit 
zu verzichten. In dieser Erwartung hatte die Regierung eine freund— 
liche Haltung gegenüber der Partei bewahrt und bei der Adreß- 
debatte gegen die unverhüllt hervortretenden Erwartungen einer 
deutschen Intervention in Italien sich jedes Widerspruchs enthalten, 
um dem Ausdruck der verschiednen Wünsche und Anschauungen freien 
Lauf zu lassen. Schon die Adreßdebatte und noch mehr die darauf 
folgenden Debatten über die Einführung einiger Grundrechte in die 
Reichsverfassung haben aber gezeigt, daß die klerikale Partei sich 
zu einer kompakten Masse auf rein konfessioneller Grundlage ge- 
bildet hat und dem konfessionellen Interesse jedes andre nationale 
und politische zum Opfer bringen will. Die Folge davon ist, daß 
sie alle andern Parteien, und namentlich alle Katholiken, welche 
an der nationalen Sache festhalten, zu ihren Gegnern gemacht hat 
und keine andre Unterstützung als die der hannoverschen Parti- 
kularisten findet. Ich bedaure lebhaft dieses taktlose und ungeschickte 
Vorgehen, welches den konfessionellen Gegensatz auf die Spitze zu 
treiben strebt. Der Regierung hat die Fraktion, wie ich höre, 
es als eine Art Kriegserklärung angerechnet, daß von bundesrät- 
licher Seite keine Unterstützung der klerikalen Bestrebungen statt- 
gefunden hat. Die Regierungen finden dagegen, daß die aggressive 
Tendenz der Fraktion, welche nur die Fortsetzung der von klerikaler 
Presse längst eingenommnen und auch jetzt leider noch bewahrten 
Haltung ist, natürlich auch auf die Stellung der Regierung ein- 
wirken und die letztere zu einer Defensive drängen muß, in welcher 
sie um wirksamer Abwehr willen sich genötigt sehen kann, auch ihrer- 
seits aggressiv gegen die Partei aufzutreten. Die schroffe Haltung, 
welche die klerikale Partei eingenommen hat, ist ein wirksamer 
Bundesgenosse der Döllingerschen Bewegung, welcher dadurch Sym- 
pathien auch in Kreisen zugewendet werden, denen solche früher 
fremd waren, und welche nun in diesem Vorgehen die Bestätigung 
dessen finden, was Döllinger und seine Freunde über die Unver-
	        
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