Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

240 Einundzwanzigstes Kapitel 3. Mai 1871 
nicht vor Abschluß des Präliminarfriedens schon kondemnierten Prisen 
wieder herauszugeben. Sie zog, wie man anzunehmen Grund hat, 
bei Versailles mehr Truppen zusammen, als ihr von Berlin aus 
mit Rücksicht auf ihre verzweifelte Situation vor der Stärke der 
Aufständigen zugestanden worden war. Sie stellte die Ansicht auf, 
daß wir nicht erst nach Ratifikation des definitiven Friedens, sondern 
schon nach Abführung der ersten halben Milliarde die Forts von 
St. Denis und Charenton zu räumen hätten. Sie hat endlich zu 
Brüssel in betreff der Zahlung der fünf Milliarden Propositionen 
vorlegen lassen, die in den Präliminarien in keiner Weise begründet 
sind, und die, wenn sie, was völlig undenkbar, Annahme fänden, 
Deutschland erst sehr spät und überdies kaum zu vier, vielleicht nur 
zu drei Fünfteln zu der ihm durch das Abkommen vom 26. Februar 
gewährleisteten Kriegsentschädigung gelangen lassen würden. Nicht 
zu verwundern ist, wenn man deutscherseits infolge dieser und ähn- 
licher Thatsachen sein anfängliches Vertrauen auf die Loyalität der 
leitenden französischen Staatsmänner erschüttert findet, wenn man 
Verdacht zu schöpfen begonnen hat, und wenn man gewillt ist, die 
den Versaillern bisher erwiesenen Gefälligkeiten, die sie dem Auf- 
stande gegenüber dringend bedurften und dem Vernehmen nach förmlich 
beanspruchten, nicht eher fortzusetzen und durch neue zu vermehren, 
als bis jenes Mißtrauen durch unzweideutige Erklärungen und viel- 
leicht durch weitere Bürgschaften vollständig beseitigt ist. Der Chef 
der Exekutive Adolf Thiers (chef du pouwoir exécutid) ist, wie 
man hört, nicht im Zweifel gelassen worden, und, wie soeben hier 
erzählt wird, soll Favre, dessen Gesinnung dieses Mißtrauen am 
wenigsten treffen soll, in einigen Tagen zum Zwecke der Aufklärung 
und Verständigung die schon seit mehreren Wochen in Aussicht 
genommne Besprechung mit dem Fürsten Bismarck haben, wie es 
heißt in Frankfurt. Hoffen wir, daß diese Zusammenkunft Klarheit 
in die Sache bringt und den definitiven Frieden beschleunigt.“ 
3. Mai. Der obige Aufsatz ist unverändert von oben an mich 
zurückgekommen und jetzt auf dem Wege nach Köln. Unter den 
Eingängen ist folgendes von Bedeutung. Fabrice meldet aus Soisy 
am 1. d. M., daß tags vorher der gegenwärtig der schweizerischen 
Gesandtschaft beigegebne Kanzler Cahn durch Cluseret autorisiert 
worden ist, die Gefängnisse nach deutschen Gefangnen zu durchsuchen,
	        
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