Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

7. Juni 1871 Einundzwanzigstes Kapitel 257 
ein Staatsmann so ultramontan, wie man sich ihn im bischöflichen 
Palais in Mainz, und so preußenfeindlich, wie man sich ihn 
irgendwo nur wünschen kann, dabei in Aussicht genommen. Ich 
berichte dies lediglich als Symptom der in unsern maßgebenden 
Kreisen herrschenden Stimmung. Sonst hat es glücklicherweise 
nicht viel zu bedeuten. Wenn man Macht hat, kann man auch 
ohne Gesandtschaft mit andern Mächten Unheil brauen, und wenn 
man keine Macht besitzt, so sind alle Gesandtschaften, die man 
unterhält, nur Ornamente, und zwar Ornamente mehr komischen 
als ernsten Charakters.“ 
7. Juni. Brunnow hat laut einem Bernstorffschen Schreiben 
vom 3. d. M. berichtet, Napoleon sei sehr gealtert und gebrochen. 
Er spreche mit großer Anerkennung von unserm Kaiser, ohne Groll 
gegen Preußen, heftig erregt dagegen über Thiers und Favre, die 
von der gerechten Strafe des Himmels dafür ereilt seien, daß 
sie das Kaisertum gestürzt hätten. Sie seien damit gestraft, daß 
sie genötigt gewesen seien, dem Lande so schwere Bedingungen 
auferlegen zu lassen. Der Kaiser hat nach diesem Berichte nicht 
von seiner Hoffnung auf Wiedereinsetzung gesprochen, aber die 
Kaiserin ist voll Mut und guter Erwartung. Die Bonapartisten 
teilen diese letzte. Die einen von ihnen denken an eine neue Thron- 
besteigung Napoleons, die andern an eine Regentschaft der Kaiserin, 
diese bilden die Minderzahl. Man hofft, Deutschland werde bei 
einer Restauration zwar nicht direkt Hilfe leisten, aber bei einer 
Wahl Napoleons Ermäßigung der Friedensbedingungen eintreten 
lassen. Auch könnte es bei einem neuen Plebiszit in den okkupierten 
Gegenden gute Dienste thun. Die einen wollen eine Wahl, in 
betreff deren sie der ländlichen Bevölkerung sicher sind, die andern 
gewaltsames Vorgehen, wobei sie auf 180 000 Soldaten rechnen. 
Die Hauptsache sei, behaupten sie, daß weder der Graf von Chambord 
nach einer der Orleans Aussichten habe. 
An Fabrice ist unterm 4. dieses Monats geschrieben worden: 
„Nachdem die Regierung, an deren Spitze Herr Thiers steht, den 
definitiven Frieden mit uns geschlossen hat, liegt es in unserm 
Interesse und in unfrer internationalen Stellung, in Frankreich 
nur die gegenwärtige Regierung anzuerkennen, so lange sich nicht 
auf gesetzmäßigem Wege aus ihr eine andre entwickelt, die die 
Busch, Tagebuchblätter II 17
	        
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