Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

30. Okt. 1871 Zweiundzwanzigstes Kapitel 287 
eingeschickt und der Chef dieses Schriftstück dem Minister des Innern 
vorgelegt. 
30. Oktober. G. schreibt unter dem 25. d. M. aus Lissabon, 
einer der dort beglaubigten Gesandten habe ihm versichert, daß 
Graf Rilvas, der diplomatische Vertreter Portugals in Berlin, im 
Frühjahr 1870 von hier die Nachricht von der Thronkandidatur 
des Prinzen von Hohenzollern nach Lissabon telegraphiert, und 
daß hierdurch die französische Regierung die ersten Kenntnisse von 
der Sache erhalten habe. — Nach Berichten vom 21. und 22. d. M. 
hat Andrassy dem Kaiser Franz Joseph in langen Unterredungen die 
Gefahren dargelegt, denen er sich aussetzen würde, wenn er sich, 
„wie es durch das unselige Reskript geschehen, 1 auf die antideutsche 
Seite stellen wollte. „Die zuverlässige Treue, von der die deutsche 
Regierung jetzt so deutliche Beweise giebt — so hat der Graf ihm 
bemerkt —, wird dann nicht imstande sein, den Lauf der Dinge zu 
hemmen. Die österreichischen Deutschen werden sich an die deutsche 
Demokratie wenden, und diese wird dem Fürsten Bismarck die 
nationale Fahne entwinden, um sie weiter zu tragen bis zur Einigung 
des gesamten deutschen Volkes.“ Ferner hat Fürst Gortschakow 
in Baden-Baden seine Freude über die den Tschechen versprochnen 
Zugeständnisse nicht verhehlt und sich überhaupt den Ansprüchen 
und Forderungen der österreichischen Slawen günstig geäußert; so 
hat der österreichische Gesandte am badischen Hofe gemeldet. Als 
ich Bucher heute eine Korrespondenz der Frankfurter Zeitung zeigte, 
in der das radikale Blatt die Verdienste des Grafen Solms, frühern 
Attachés der deutschen Botschaft in Paris, hervorhebt und dessen 
jetzige Zurücksetzung beklagt, sagte er, daß Solms allerdings vor 
dem Ausbruch des Krieges in betreff des Standes der Dinge viel 
richtiger als Werther gesehen und berichtet habe, aber der Chef 
habe ihm nichts glauben wollen und gemeint, der Graf sei ein 
Mensch ohne alles Urteil. Später sei jener ganz in Ungnade ge- 
fallen, weil er während des Feldzuges eine Stellung beim Kron- 
prinzen angenommen und sich der Aufforderung des Ministers, bei 
uns zu arbeiten, nicht gefügt habe. 
2. November. Heute kam Graf Bismarck-Bohlen ins Büreau, 
  
1 Die Fundamentalartikel.
	        
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