Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

16. Dezember 1871 Zweiundzwanzigstes Kapitel 295 
zeit kann Herr Thiers kriegerische Verwicklungen nicht wünschen, 
weil er trotz aller seiner Frivolität doch nicht daran zu zweifeln 
imstande ist, daß der erste Kanonenschuß zunächst seiner Regierung 
ein Ende machen würde. Was später geschieht, ist eine andre Frage, 
und die Entscheidung darüber wird wahrscheinlich nicht mehr in der 
Hand des jetzigen Präsidenten liegen. — Es ist mir nicht recht 
klar geworden, weshalb Graf Beust seinen Weg über Paris ge— 
nommen hat, während ihn alle sachlichen Rücksichten veranlassen 
mußten, Paris zu vermeiden. Herr von Remusat sagte mir über 
seine Unterredung mit demselben: ILa commencé par dire le plus 
grand bien du Comte Andrassy; il a flni par en dire tout 
le mal possible. Über seine eignen Erlebnisse drückte sich Herr 
von Beust so aus, als ob er selbst nicht recht wüßte, weshalb er 
entlassen worden sei. Die nächste Folge seiner Verabschiedung 
und des dadurch entstandnen Beust-Schwindels sei gewesen, daß 
man viel weiter links habe gehen müssen, als nötig gewesen sein 
würde, wenn er geblieben wäre. Der gefallene österreichische Staats- 
mann hat hier, wie mir scheint, im allgemeinen keinen guten Ein- 
druck gemacht. Man findet, daß er sich zu sehr von allen Fragen, 
an denen er nach seiner amtlichen Stellung beteiligt ist, des- 
interessiert. Von Herrn von Beust erfuhr ich zuerst, daß der 
Fürst Metternich, nachdem alle delikaten Insinuationen frucht- 
los geblieben waren, auf den direkten Wunsch des Herrn Thiers 
abberufen worden ist. Über den Nachfolger ist noch nichts be- 
stimmt, und Graf Beust meinte, daß man mit der Bezeichnung 
desselben einige Zeit warten solle, um Empfindlichkeit über die 
gegen den Fürsten Metternich gethanen Schritte an den Tag 
zu legen. Hier wird der Abgang des Fürsten Metternich, 
dessen einziges Verdienst darin bestand, eine besondre Art Frau 
zu haben, für die hier kein Wirkungskreis mehr ist, nicht 
bedauert.“ 
16. Dezember. Der Chef findet mit Bezug hierauf, daß Beusts 
Reise über Paris „wiederum als ein charakteristisches Symptom 
erscheint, das neuen Anlaß bietet, sich den Wert der inzwischen 
in Wien eingetretnen Personalveränderung dankbar zu vergegen- 
wärtigen. Unter den vorliegenden Umständen würde es ihm und 
jedem andern nur die Sache ins Auge fassenden Staatsmann als
	        
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