Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

296 Zweiundzwanzigstes Kapitel 25. Dezember 1871 
das richtigste erschienen sein, den kürzesten und geradesten Weg auf 
dem neuen Posten zu wählen und Begegnungen, wie Graf Beust 
sie aufgesucht hat, eher zu vermeiden. Nur das Bedürfnis, von 
sich reden zu machen und bis in die kleinsten Details persönlichen 
Auftretens vor der Welt zu posieren, konnte einen sonst klugen 
Mann verleiten, seine Reise auf eine so sehr das Aufsehen auf sich 
ziehende Weise einzurichten und selbst dafür Sorge zu tragen, 
daß die Journale sein Erscheinen in das gehörige Licht stellen. 
Die Wege, auf die ein einflußreicher Minister durch solche 
Schwäche geleitet werden kann, entziehen sich aller Berechnung und 
lassen kein Vertrauen in seine Zuverlässigkeit aufkommen. Graf 
Beust hat von neuem bewiesen, wie sehr wir Ursache haben, zu— 
frieden zu sein mit dem Tausch, den die politische Leitung der 
Geschäfte in Wien gemacht hat, und der uns eine mehr sachliche 
und weniger von persönlichen Interessen und Bedürfnissen bedingte, 
daher stetigere und ernstere Politik in Aussicht stellt.“ 
25. Dezember. Heute einen nach einer Arnimschen Depesche 
vom 17. d. M. geschriebnen Artikel an die Kölnische Zeitung abge— 
schickt. Arnim schrieb: „Nach Privatmitteilungen, die aus Stutt— 
gart hier eingelaufen sind, beabsichtigt der württembergische Hof in 
der Person des Herrn von Maucler einen Geschäftsträger hier zu 
akkreditieren. Obwohl diese Nachricht mir sehr unwahrscheinlich vor— 
kommt, möchte ich doch nicht unterlassen, darauf aufmerksam zu 
machen, wie sehr ein solcher Entschluß des Königs Karl zu bedauern 
sein würde. Im entscheidenden Augenblicke würde natürlich die An— 
wesenheit eines württembergischen Geschäftsträgers nichts ändern, 
aber es ist ganz unzweifelhaft, daß dieselbe die Neigung der Fran— 
zosen zu einem neuen Kriege um mindestens zwei Prozent steigert. 
Dazu würde kommen, daß ein württembergischer Geschäftsträger einen 
französischen Gesandten in Stuttgart nach sich zieht, dem es leicht 
sein würde, dort Leute zu finden, die mit der Neugestaltung Deutsch— 
lands unzufrieden sind. Wenn der Gesamtverlust der deutschen Armee 
im letzten Kriege auf hunderttausend veranschlagt wird, und wenn 
ein neuer Krieg nur einen Verlust von fünfzigtausend Mann ver— 
ursachen sollte, so würde die württembergische Regierung für tausend 
Mann verantwortlich sein, wenn sie, ohne es zu wollen, dazu bei— 
trägt, Frankreich zum Kriege zu ermutigen. Dieselbe Reflexion sollte
	        
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