302 Zweiundzwanzigstes Kapitel 8. Januar 1872
an die Kölnische Zeitung abging. Er betraf einen Erlaß des Chefs,
der den Franzosen nach gewissen Ausbrüchen ihres Deutschenhasses
die Wahrheit vorgehalten hatte, und es hieß in ihm unter anderm:
„In Frankreich wohnen zwei Völker: die Franzosen und die Pariser;
das erstere liebt den Frieden, das zweite schreibt die Zeitungen und
sucht Händel, die jenes dann auszufechten hat. Beide mögen sich
klar machen, wie nahe bei Chateau-Thierry das deutsche Heer steht.
Wenn der Pariser Sittenkodex in einem kategorischen Imperativ
»Revanche« gipfelt, so kann die Nation nicht eindringlich genug
gemahnt werden, wie bald die Deutschen, denen Metz und Straß-
burg, Verdun und Toul nicht mehr im Wege stehen, von Reims
aus Paris zu erreichen imstande sind. Auch ist es nützlich, daß
die verschiednen französischen Prätendenten in Erwägung ziehen,
was die Stellung Deutschlands und dessen vertragsmäßige Ansprüche
sind. Die am Ruder befindliche Regierung aber wird nicht fehl-
gehn, wenn sie auf besondre Gefälligkeiten von seiten Deutschlands
unter diesen Umständen nicht zählt. Es ist ganz im Interesse des
Friedens, daß Länder und Völker Bescheid wissen, wie sie mit ein-
ander daran sind. Die Okkupation der französischen Departements,
die uns vertragsmäßig zusteht, bildet für uns eine Defensivstellung,
die wir, solange wir über die Gesinnungen und Absichten Frank-
reichs nicht vollständig beruhigt sind, nur insoweit aufgeben dürfen,
als wir vertragsmäßig dazu verpflichtet sind. Die bisherige Politik
und Stimmung Frankreichs seit dem Frieden giebt uns nicht das
Gefühl der Beruhigung, das den Verzicht auf irgend einen Vorteil
der jetzigen starken Verteidigungsstellung rechtfertigen könnte. Von
den französischen Dächern wird der Rachekrieg gepredigt ohne Unterlaß.
Und eine Regierung, die das Armeebudget um 80 bis 100 Mil-
lionen mehr belastet, als die des Kaisers Napoleon vermochte, wird
auf den Ruf der Friedfertigkeit keinen Anspruch erheben können.
Wenn Frankreich behauptet, daß die Kriegsentschädigung übertrieben
hoch sei, und gleichzeitig mit verschwenderischer Freigebigkeit für den
nächsten Krieg rüstet, so darf man sagen, daß der Erlaß vom
7. d. M. mit seinem Ausdrucke des Bedauerns über das Verfrühte
der deutschen Hoffnung auf Befestigung friedlicher Beziehungen eine
maßvolle Andeutung, und daß die Veröffentlichung desselben ein
vorbeugender und wohlmeinender Akt der Politik war.“