Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

326 Zweiundzwanzigstes Kapitel 26. Febr. 1872 
hiesigen katholischen Salons herrscht. Man ist in diesen Kreisen 
völlig außer stande, die jüngsten Kämpfe im preußischen Abge— 
ordnetenhause nach ihrer wahren Bedeutung zu würdigen und zu 
begreifen, daß die Regierung sich hier gegen eine Aggression der 
ultramontanen Partei, die sich mit Polen und Welfen verschworen 
hat, zu wehren hatte. Noch weniger versteht man in diesen Kreisen, 
in deren Händen sich dermalen die Regierung befindet, das deutsche 
Gewissen, das sich gegen das Unfehlbarkeitsdogma sträubt. Die 
Kirche hat gesprochen, sagt man hier, statt zu sagen: Rom hat 
gesprochen, und damit ist für die Katholiken alles gesagt; sie haben 
sich einfach zu unterwerfen. Die liberalen Katholiken aber sehen 
nicht ein, weshalb wir Deutschen uns erhitzen; sie sind eben nicht 
weniger unwissend in betreff der kultur- und kirchengeschichtlichen 
Dinge, die hier in Frage kommen, als ihre klerikalen Gegner, und 
sie sind mit ihren materiellen Gewohnheiten zu bequem, um diese 
Fragen zu studieren und zu prüfen. Man fühlt sich behaglich als 
Libre-penseur und damit dem Kampfe entrückt. — Einige Ver- 
wunderung erregte (dies stand in einer Depesche, die Hatzfeldt mir 
mit der Weisung des Chefs brachte, in der Presse gegen die Auße- 
rungen, die der belgische Minister gethan haben will, als gegen 
eine Fälschung zu polemisieren und den wirklichen Laut seiner Worte 
festzustellen) der Anfang der Rede des Ministers der auswärtigen 
Angelegenheiten am 24. Februar, wo er auf die Außerung, Frank- 
reich sei ein Belgien befreundetes Land, erklärte: ?Die Thatsache 
wird von niemand in Abrede gestellt. Auch hat Belgien keine 
Gelegenheit versäumt, seine Sympathien für Frankreich zu bethätigen.= 
Ich habe das selbst gehört. Der Moniteur dagegen läßt den Grafen 
Aspremont-Lynden sagen: „Ich glaube versichern zu können, daß 
Belgien Frankreich wie allen andern Mächten stets diejenigen Beweise 
von Sympathie gegeben hat, die es von ihm fordern konntes, was 
doch etwas wesentlich andres sein würde, als die wahre und eigent- 
liche Erklärung des Herrn Grafen.“ 
Nachtrag. Vorgestern früh brachte Dörr die Nachricht mit, 
daß Dr. Beuthner, der Chefredakteur der Kreuzzeitung, von dem 
Donnerkeil gegen seine Partei und von dem Vorwurf der Unfähigkeit 
gegen ihn persönlich, die ihm die Norddeutsche Allgemeine Zeitung 
zugeschleudert hat, so schwer getroffen worden sei, daß er einen
	        
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