Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

328 Zweiundzwanzigstes Kapitel 3. März 1872 
als eine merkwürdige Wandlung, daß Rußland zum erstenmale das 
griechische Element dem slawischen geopfert hat.“1 In der Meldung 
war behauptet, daß Rußland sich vorher besonders auf das griechische 
Element gestützt habe, und daß der orientalischen Kirche in der 
Türkei durch die neue Maßregel der Todesstoß versetzt und der 
Patriarch von Konstantinopel fast alles seines bisherigen Einflusses 
beraubt worden sei. 
Später noch einen Petersburger Bericht vom 22. d. M. gesehen, 
in dem es heißt: „Thiers hat dem Fürsten Orlow gesagt, Casimir 
Perier werde den Antrag auf Befestigung der republikanischen Staats- 
form in der Nationalversammlung stellen, und er, der Präsident, 
werde ihn unterstützen und mit ihm stehen und fallen." Orlow 
glaube, daß die Bonapartisten mehr Aussicht auf Erfolg haben als 
andre Parteien. Fleury ist bei ihm gewesen und hat ihm fast 
wörtlich das gesagt, was man aus den Memoiren der Großfürstin 
Marie über die bonapartistischen Wünsche kennt. Er hat dabei 
gefragt, ob Rußland nicht etwas thun könnte, um Herrn Thiers 
zum Anrufen des Plebiszits zu vermögen. Als ihm Fürst Orlow 
darauf erwidert, daß er die bestimmte Instruktion habe, die besten 
Beziehungen zu Frankreich aufrecht zu erhalten, sich aber in keinerlei 
Parteiumtriebe einzulassen, hat ihm der General ziemlich unwillig 
geantwortet, in Berlin sei man weniger spröde als in Petersburg. — 
Wohl nicht in Berlin, sondern bei Arnims? 
3. März. Bucher bringt mir von oben den Auftrag zu einer 
römischen Korrespondenz für die Kölnische Zeitung und die Unter- 
lage dazu. Der Artikel sagte: „Schon zu verschiednen malen ist 
das Gerücht aufgetaucht, daß der Papst Rom zu verlassen beab- 
sichtige. Zuletzt hieß es, um das im Sommer vertagte Konzil an 
einem andern Orte wieder zu eröffnen, wobei die einen Malta, die 
andern Trient nannten. Jetzt taucht das Gerücht mit größerer Be- 
stimmtheit auf und behauptet, die Abreise des heiligen Vaters werde 
sehr bald erfolgen. Wie man hört, ist an der Sache etwas, wenn 
der Gedanke einer Wiedereinberufung des Konzils auch noch nicht 
  
1 Gemeint ist die Begründung des bulgarischen Exarchats, das nach dem 
großherrlichen Ferman vom 27. Februar 1870 mit der Wahl des ersten Exarchen 
im Februar 1872 ins Leben trat und die bisherige Abhängigkeit der Bulgaren vom 
Patriarchat in Konstantinopel aufhob. Jirecek, Geschichte der Bulgaren 559 ff.
	        
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