13. März 1872 Zweiundzwanzigstes Kapitel 337
Retzow — so fährt der Artikel, die Worte des Kanzlers fast un—
verändert wiedergebend, fort — verdient hervorgehoben zu werden,
wenn auch in anderm Sinne. Er meinte, nicht bloß der Religions—
unterricht gehöre unter den Einfluß und die Aufsicht der Geistlichen,
sondern auch alle andern Fächer. Wenn er dabei vorzüglich an die
Geschichte dachte, so wird es wohl nicht selten in der Praxis vor-
kommen, daß Protestanten, Juden und vor allen klerikale Katho-
liken dem Geschehenen eine Darstellung geben, die stärker oder
schwächer von ihrem Glaubensbekenntnisse gefärbt ist. Aber eine
solche konfessionelle Geschichtsauffassung ist, da die Geschichte eine
Wissenschaft ist, und die Wissenschaften rein objektiv denken und
reden sollen, bekanntlich nichts wert und am wenigsten für die Schule
geeignet, wo man zugleich gewöhnt werden soll, die Wahrheit zu
sprechen. Ubrigens wird dann Herr von Kleist auch einen kon-
fessionellen Unterricht in der Geographie und dieselbe Einrichtung
in betreff der Astronomie verlangen müssen, und da würde man
unter anderm in gewissen katholischen Schulen das Fortbestehen des
Kirchenstaates und in gewissen protestantischen die Weisheit des
Antikopernikus Knak vortragen, wovor uns mit der Erlaubnis des
Herrn von Kleist der Himmel bewahren wolle. 1
13. März. Heute morgen übergab mir Bucher Abschrift des
Briefes Windthorsts an Kozmian mit dem Bemerken, der Chef wolle
sie „aus Abgeordnetenkreisen in die Presse gelangen lassen.“ Ich
schickte das Schriftstück mit einer kurzen Einleitung, die dem ent-
sprach, der Kölnischen Zeitung, aus der es in alle andern Blätter
überging. Der Brief lautete:
„Euer Hochwohlgeboren beeile ich mich auf das soeben einge-
laufne Schreiben zu erwidern, daß ich die Einreichung von Petitionen
für den heiligen Vater an den Reichstag zur Zeit für inopportun
halten muß.
„Der Reichstag hat bei der Adreßdebatte die Intervention für
den heiligen Stuhl mit vollem Bewußtsein und mit klar aus-
gesprochner Absichtlichkeit abgelehnt.
„Deshalb würde mit Sicherheit anzunehmen sein, daß man über
die Petitionen zur Tagesordnung übergehen würde.
1 Vgl. G. u. E. II, 149.
Busch, Tagebuchblätter II 22