Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

März —April 1872 Zweiundzwanzigstes Kapitel 339 
von Wilna, Warschau, Kiew und Odessa berichten in diesem Sinne . 
Auf Befehl des Kaisers sind die bestimmtesten Instruktionen an die 
kaiserlichen Beamten ergangen, sich auf nichts einzulassen, was wie 
eine Negoziation mit der Emigration aussehen könnte. Die kaiser— 
liche Regierung könne mit letzterer unter keinen Umständen unter— 
handeln. Namentlich aber soll überall auf das entschiedenste aus— 
gesprochen werden, daß die kaiserliche Regierung vom Panslawismus 
nichts wissen wolle, vielmehr in diesen Ideen eine der größten Ge— 
fahren für Rußland erblicke. Seine Majestät der Kaiser scheint in 
dieser Ansicht unerschütterlich festzustehen.“ 
24. März. Unter den Eingängen ist ein Bericht aus Darm— 
stadt bemerkenswert, der eine Unterredung mit dem Großherzoge von 
Hessen betrifft. Sie hat bei einem zur Feier des kaiserlichen Ge— 
burtstages veranstalteten Diner stattgefunden, und der Großherzog 
hat sich dabei über die „antinationale Haltung und die ausschließ- 
lich selbstsüchtigen Zwecke der ultramontanen Partei in ebenso scharfer 
Weise geäußert als über die Unzuverlässigkeit und den Jesuitismus 
des Bischofs von Ketteler in Mainz. Derselbe, sagte Er (ich zitiere 
das Original seiner byzantinischen Schreibweise), komme jährlich etwa 
zweimal zu Ihm und versichere Ihn jedesmal, daß die Katholiken 
seine besten Unterthanen seien; aber Er wisse, was Er von diesen Ver- 
sicherungen zu halten habe; Er kenne Herrn von Ketteler nur zu 
gut und wünsche nichts mehr, als ihn mit seinem Herrn Moufang 
recht bald los zu werden. Nebenbei bemerkte Er, Preußen könne 
Ihm beide Herrn abnehmen, dort würde man mit ihnen schon fertig 
werden, und sie seien bei uns weniger gefährlich.“ 
2. April. Diesen Abend zwischen acht und neun Uhr kam der 
Staatssekretär an mein Pult und fragte zunächst, ob ich denn immer 
noch so spät hier sein müsse, um zu warten, ob von oben etwas 
gewünscht würde. Ich bejahte das mit der Beschränkung, daß ich 
jetzt, wenn der Chef Befehle hätte, durch Bucher davon benachrichtigt 
und mit Material versehen würde. Dann bemerkte er: „Er hat 
sich geäußert, daß er milder Krieg führen wolle — gegen Diplo- 
maten. Der Engländer sagte es mir, und es wäre mir lieb, zu 
wissen, ob hier etwa eine Direktive nach dieser Seite hin gegeben 
worden wäre. Ist so was geschehen?“ — Ich entgegnete, ich hätte 
ihn nicht recht verstanden; ich hatte nämlich, damals infolge starker 
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