Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

340 Zweiundzwanzigstes Kapitel 3. April 1872 
Erkältung etwas schwerhörig, statt „milder — gegen die Katholiken“ 
„gegen Milder, den Diplomaten“ gehört. — „Nein — erwiderte er —, 
milder gegen die Katholiken — so hat er zu Diplomaten geäußert. 
Er kann doch nicht so weit gehen wollen, wie die Blätter schreiben. 
Das käme ja auf einen dreißigjährigen Krieg hinaus.“ — Ich ant— 
wortete, das wäre doch kaum möglich, der Chef dächte schwerlich 
daran, über eine bestimmte Linie hinauszugehen. — „Ja — ver- 
setzte er —, das glaube ich auch nicht. Dann sollten aber die offiziösen 
Blätter nicht solche Erwartungen erwecken, wie sie die andern jetzt 
ausgesprochen haben. Dam sollte er nicht solche Direktionen gegeben 
haben. Nun, wenn Sie etwas erfahren, daß milder vorgegangen 
werden soll, so möchte ich Sie bitten, mich das wissen zu lassen, 
damit ich informiert bin, wenn Diplomaten danach fragen.“ 
Ich erinnerte mich bei diesem Gespräch eines Briefes, der vor- 
gestern in Thiles Zimmer am Boden gelegen hatte und mit seinem 
Wissen von mir gelesen worden war, und der aus Brüssel (der Hand- 
schrift nach von Balan) gekommen war; es hieß darin: „Die kirch- 
lichen Fragen werden wohl bei uns immer mehr alle Verhältnisse 
beherrschen, und die Idyllen früherer Zeiten — wie wir sie noch in 
unsrer Jugend gewohnt waren — für lange Zeit auch auf diesem 
Gebiete, wie auf vielen andern, in die Ferne rücken.. Die Haupt- 
schwierigkeiten haben kaum begonnen, sie werden, dünkt mich, in 
dem nicht ausbleibenkönnenden Momente eintreten, wo es darauf 
ankommen wird, gegen die Exaltados der jetzt eingeschlagnen Rich- 
tung Front zu machen.“ 
3. April. Heute diktierte mir Bucher, vom Chef kommend, 
die von ihm stenographisch nachgeschriebnen Grundgedanken zu einem 
Artikel für die Norddeutsche Allgemeine Zeitung, wie folgt: „Sehr 
viele Elsaß-Lothringer würden aus Furcht vor der allgemeinen 
Wehrpflicht und andern derartigen Gründen natürlicherweise Fran- 
zosen bleiben wollen. Wir hätten das sehr wohl vorausgesehen, 
hätten aber diese Landstriche behalten müssen, um gegen neue Raub- 
anfälle, wie die Franzosen sie in den letzten zweihundert Jahren 
fünfzig= bis sechzigmal versucht, eine militärische Deckung zu haben. 
Daß wir denen, die für die französische Nationalität optiert haben 
würden, nicht das Recht einräumen könnten, in Elsaß-Lothringen 
wohnen zu bleiben, werde sehr einleuchten, wenn man sich dächte,
	        
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