Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

358 Zweiundzwanzigstes Kapitel 4. Mai 1872 
Ansichten einiger Blätter darüber: „Der diplomatische Agent hat 
nicht nach eignen Feldzugsplänen zu operieren, Schlachten anzu— 
bieten und Siege zu erfechten, durch Drohungen, Überredung und 
Überlistung einzuwirken. Er ist nur der Vermittler zwischen den 
Regierungen und Höfen, die durch ihn miteinander verkehren, nur 
das Organ der Politik seiner Regierung, deren Aufträge geschickt 
und gewissenhaft zur Ausführung zu bringen sind. Im vorliegenden 
Falle der Vertretung Deutschlands beim römischen Stuhle kann 
nicht entfernt darin der Sinn gefunden werden, daß das Oberhaupt 
der katholischen Kirche zu gewinnen, zu bestimmen, zu überreden 
sei, oder gar, daß der große Kampf der weltlichen und geistlichen 
Gewalt durch Talent und Entschiedenheit eines Gesandten in Rom 
zum Austrage gebracht werden solle. Der Vertreter Deutschlands 
im Vatikan hätte wohl zunächst die Aufgabe, den Papst in der 
Anschauung und Beurteilung der deutschen Dinge vor Fälschung zu 
sichern. Es würde, wenn dies dem Manne, der mit den betreffenden 
Fragen vertraut und über Personen und Zustände wohl unterrichtet 
wäre, gelingen wollte, viel gewonnen sein. Daß es sich bei dieser 
diplomatischen Mission gar nicht um solche Gegenstände handelt, 
die sonst in das Bereich der auswärtigen Politik gehören, wird 
nicht aus den Augen zu setzen sein; der Gesandte beim päpstlichen 
Stuhle hat nichts mit Territorialfragen und dergleichen weltlichen 
Interessen zu schaffen, sondern mit Angelegenheiten, worin sich der 
Staat und die Kirche berühren. Auch finden die betreffenden 
Angelegenheiten durchaus nicht in Rom ihre Erledigung und hängen 
nicht von Entschließungen ab, die daselbst zu fassen sind, sondern 
sie werden im Wege der Gesetzgebung unter Mitwirkung der parla- 
mentarischen Vertretungen zu regeln sein. So werden sie denn auch 
geregelt und geordnet werden. Im Verlaufe der so wichtigen hier- 
durch bedingten Entwicklung mancherlei gedenkbare Mißverständnisse 
zu vermeiden und namentlich bekannten künstlichen Mißdeutungen 
vorzubeugen, damit nicht unnötigerweise Unfrieden entstehe, konnte 
nur erwünscht sein und war ohne Zweifel maßgebend für die Wahl 
eines hierzu besonders geeigneten Vermittlers. Der Papst aber 
hat nicht gewollt. Wie schon gestern gemeldet, gab der Kardinal- 
Staatssekretär in betreff der amtlichen Mitteilung von der auf den 
Kardinal Fürsten von Hohenlohe gefallnen Wahl zum Botschafter
	        
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