Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

364 Zweiundzwanzigstes Kapitel 16. Juni 1872 
gerät in eine Strömung, von der schließlich die entschlossene Reaktion 
das Meiste zu hoffen hat. 
„Wer wollte leugnen, daß die vorwärts treibenden Kräfte dem 
öffentlichen Leben gedeihlichen und notwendigen Anstoß erteilen? 
Es ist aber ein altes politisches Axiom, daß der Staat ebensosehr 
der beharrenden und maßhaltenden Kräfte bedarf. Nur wird in der 
Regel das Hauptverdienst darin gesucht, der Neuerung den aller— 
dings oft wohlthätigen Widerstand entgegenzusetzen, während ihre 
fruchtbarste Wirksamkeit ganz andrer Natur ist. Im rechten Augen— 
blick erkennen, was den soliden Kern des öffentlichen Lebens aus— 
macht, diesen ohne vorher gefaßte Meinung und mit voller Freiheit 
von Velleitäten erfassen, das lebensfähige und lebendige Neue in 
seinem Recht und seiner innern Wahrheit anerkennen, die nächsten 
Ziele fest ins Auge fassen und daraufhin sich als die Partei der 
Erhaltung zu konstituieren, die dafür. Sorge-trägt, daß das bisherige 
Fazit der Entwicklung Wurzel schlage, das ist die eigentliche Stärke 
der konservativen Elemente eines Staates. Nicht in Opposition gegen 
die neue Zeit, vielmehr im Bunde mit ihren sittlichsten und posi- 
tivsten Mächten erfüllt der Konservatismus seine lohnende Aufgabe. 
Im Gegensatz zu Richtungen und Bestrebungen, die rückwärts 
schauen und Bestehendes verneinen, im Kampfe vielleicht mit Anti- 
zipationen der Zukunft darf die konservative Partei sich als die 
Partei der Gegenwart betrachten und der Gegenwart ihr volles Recht 
zu wahren bestrebt sein.“ 
Bucher schreibt unterm gestrigen Datum an mich und bittet, in 
irgend einer Zeitungskorrespondenz zu erwähnen, daß er, wie in den 
drei letzten Jahren, in Varzin sei und die Geschäfte besorgen werde. 
„Die aus der Hand fressende Presse — fügte er hinzu — hat dies 
wohl nicht zufällig (d. h. wohl auf Veranlassung Aegidis, der an 
Buchers Stelle nach Varzin möchte) diesmal ignoriert.“ liber den 
Chef berichtet er, er sei „sehr munter, reite viel, erfreue sich seiner 
Pflanzungen.“ 
16. Juni. Man schreibt dem Reichskanzler unterm 10. d. M. 
aus Petersburg: „Ich habe den Grafen P. Schuwalow seit seiner 
Rückkehr aus Karlsbad nur sehr flüchtig sprechen können. Er dankte 
mir noch nachträglich, daß ich ihm die so interessante Entrevue 
mit Eurer Durchlaucht vermittelt hätte. Nach dem, was er mir
	        
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