Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

13. Juli 1872 Zweiundzwanzigstes Kapitel 367 
mit Unrecht. Er hat nur verlangt, daß ein solches Gesetz ein— 
gebracht werde, aber mit der Formulierung nichts zu thun gehabt. 
Der erste Entwurf war im Reichskanzleramt entstanden und wurde 
im Staatsministerium verdünnt, und wir glauben zu wissen, daß 
er durchaus nicht nach dem Geschmacke des Kanzlers war, und daß 
dieser kein Hehl daraus gemacht hat, als Herr Wagener nach der 
Ministerialsitzung nach Varzin kam. Der Kanzler lehnte indessen 
ab, selbst einen Entwurf zu formulieren, weil ihm in Varzin das 
Material und die persönliche Berührung mit seinen Kollegen fehlten, 
und rechnet — wie der Erfolg bewiesen hat, mit Recht — darauf, 
daß der Reichstag ein kräftigeres Gebräu liefern würde.“ Nr. 1 
der Weserzeitung, Nr. 2 der Kölnischen Zeitung geschickt. Jener 
gelangte nicht zum Abdruck, was bei dem Einfluß der Juden auf 
das Journalistentum begreiflich ist. 
13. Juli. Der Kölnischen Zeitung folgende nach einem Pariser 
Bericht abgefaßte Korrespondenz geschickt: „Auf seiten der Orleanisten 
hofft man jetzt nach der indirekten Abdankung, die in dem Mani— 
feste des Grafen Chambord liegt, 1 den Grafen von Paris als König 
zu proklamieren. Umsichtige Mitglieder der Partei aber teilen diese 
Hoffnung nicht, obwohl Mac Mahon sich Aumale geneigt zeigen 
soll, und viele sind sogar der Meinung, daß, wenn Thiers den Stuhl 
der obersten Exekutivgewalt einmal räumen muß — was allerdings 
schon im Laufe dieses Jahres stattfinden könnte —, sein Nachfolger 
kein Orleans, sondern ein ganz andrer, nämlich Leon Gambetta 
sein würde. Die Sache der Söhne Ludwig Philipps ist, wenn 
nicht alles trügt, ebenso verloren zu geben wie die des Grafen 
Chambord. Auf gesetzlichem Wege kommen sie bei der durch die 
Wahlen sehr verstärkten republikanischen Minorität in der National- 
versammlung jetzt nicht mehr weiter, und zu einem Gewaltschritt, 
der vor zwei Monaten vielleicht gelungen wäre, haben sie schwerlich 
den Mut. Der Schwerpunkt liegt jetzt in der republikanischen 
Partei, durch die Thiers sich bisher gehalten und zuletzt in den 
  
1 Gemeint ist die Kundgebung vom 25. Februar, der schon eine ähnliche 
vom 5. Juli 1871 vorausgegangen war. Die „Fusion“ beider Linien trat ein, als 
der Graf von Paris bei einem Besuche in Frohsdorf bei Wien am 5. August 1873 
Heinrich von Chambord als Haupt des Gesamthauses anerkannte und von ihm 
als Erbe anerkannt wurde.
	        
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