Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

378 Zweiundzwanzigstes Kapitel 10. Sept. 1872 
Durchlaucht gefehlt, und schon habe er sich gut gelaunt in dieses 
Schicksal ergeben wollen, als man in einem entlegnen Kleiderschrank 
noch ein uraltes Möbel der Art entdeckt hätte, mit dem er sich dann 
für den feierlichen Akt geschmückt habe. Abends habe er sich und 
der Gesellschaft zuletzt ein gewaltiges Getränk gebraut, eine Bowle 
aus zwei Flaschen Portwein, einer Flasche altem Arrak und einer 
Flasche Sekt, und davon habe er noch lange fröhlich fortgekneipt, als 
es Bucher schon zu viel geworden und er zu Bett gegangen sei. Die 
Komtesse wäre nach zwei Gläsern in ihrem Rocking Chair einge— 
schlummert und habe so fest geschlafen, daß sie laut geatmet habe. 1 
Zuletzt teilte mir Bucher mit dem Bemerken: „Für Ihre Memora= 
bilien“ folgende hübsche Anekdote mit: „Die Frau Ministerin X 
fragte neulich beim Diner, wo es Schwänze und Scheren von 
Hummern gab, ihren Tischnachbar Roon mit seelenvollem Blick: 
Meinen Sie nicht, Exzellenz, daß das seelische Moment auch dieser 
untergeordneten Tiergattung in dem allumfassenden Weltraum der- 
einst seine berechtigte Stelle einnehmen, seine Vollendung finden 
wird? Roon griff nach einer zweiten Schere und sagte trocken: 
Om, ja, im Weltraum ist noch sehr viel Platz.#“ 
10. September. Diesen Morgen machte Bucher darauf auf- 
merksam, daß Keudell ganz außer sich zu sein scheine und fieberhaft 
verwirrt hin= und herfahre, um bald dies, bald das anzuordnen, 
was doch sonst nicht seine Gewohnheit sei. „Er soll — bemerkte 
B. — einen hohen russischen Orden erwarten, vielleicht den Andreas 
mit Brillanten.. Und dann lesen Sie mal, was hier einer seiner 
guten Freunde von der Presse in die Börsenzeitung besorgt hat." 
Ich las: „Bei dem diplomatischen Diner, das Fürst Bismarck am 
Sonnabend gab, saßen Gortschakow und Andrassy zu beiden Seiten 
des Kanzlers, Oubril und Karolyi neben Thile, der österreichische 
Sektionschef von Hofmann neben Keudell; letzterer hat auf Wunsch 
des Reichskanzlers seinen Urlaub unterbrochen, um mit Herrn Hof- 
mann zusammenzutreffen. Herr von Keudell hatte sich den Fuß 
verstaucht und war mehrere Tage leidend, kam aber nichtsdesto- 
weniger der an ihn ergangnen Aufforderung bereitwillig nach.“ 
  
1 In diesen Tagen (24. bis 30. Juli) war John Lothrop Weotley Bismarcks 
Gast, vgl. Poschinger, Tischgespräche I, 751f.
	        
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