Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

11. Sept. 1872 Zweiundzwanzigstes Kapitel 379 
Nach Buchers Behauptung war von einem solchen Opfer an Be— 
quemlichkeit nicht entfernt die Rede gewesen, da der Kanzler jenen 
Wunsch nicht geäußert, Keudells Kommen vielmehr ausdrücklich für 
nicht nötig erklärt hatte. 
11. September. Auch Bucher ist von dem Ordensregen, mit 
dem die Dreikaiserzusammenkunft gesegnet hat, getroffen worden. 
Diesen Abend kam er an mein Pult und zeigte mir ein rotes Etui, 
worin zwei Dekorationen, ein Komturkreuz und ein Stern, lagen. 
Welcher Stern es war, der für ihn vom Himmel gefallen war, 
wußte er noch nicht; denn die Umschrift im Zentrum war russisch. 
„Nun sehen Sie einmal, wie die Natur spielt. Da haben sie mir 
den Orden und auch den Stern gestiftet, und Sie wissen doch, wie 
ich über Rußland gedacht habe.“ — Ich erwiderte: „Nun ja, Sie 
waren — früher nicht gerade freundlich gegen die Herren gesinnt. 
Sie standen meines Wissens auf Urquharts Standpunkte.“ — „Ja— 
wohl — versetzte er —, und wenn er das nun hört, denkt er ge- 
wiß: Na, den haben sie sich jetzt auch gekauft!“ 
15. September. Schon seit Wochen spielt in München eine 
Ministerkrisis, und man spricht davon, daß Gasser gute Aussichten 
habe, Ministerpräsident zu werden. Seiner Frau, einer gebornen 
von Redwitz, der Freundin des Königs, mit der Seine Majestät fort- 
während in Korrespondenz steht, wurde in einer Meldung vom 1. Sep- 
tember „ein nicht unbedeutender Anteil an der lediglich aus Aller- 
höchster Initiative hervorgegangnen Kabinettskrisis“ zugeschrieben. 
Nach einem ungefähr gleichzeitigen Berichte B.s sollte auch Staats- 
rat von Daxemberger der Kandidatur Gassers nicht abgeneigt sein; 
wenigstens hieß es dort, daß er, „der sowohl in politischer als in 
religiöser Beziehung mehr mit Bray als dem jetzigen Minister 
harmoniere,“ Gasser B. gegenüber „als gemäßigt darzustellen ver- 
sucht und leisen Tadel gegen Lutz angedeutet“ habe. 
Heute expedierte ich an die Kölnische Zeitung eine Korrespondenz 
aus München, zu der mir Bucher im Auftrage des Chefs die 
Direktive zugestellt hatte, und in der es ungefähr hieß, die dortige 
Ministerkrisis sei noch nicht beendigt. Mit besonderm Eifer bemühe 
sich um das Zustandekommen eines Kabinetts Gasser nach sichern 
Mitteilungen der für das Finanzdepartement in Aussicht genommne 
Staatsrat von Lobkowitz. Weniger glaubwürdig dagegen sei die
	        
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