Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

22. Nov. 1872 Zweiundzwanzigstes Kapitel 381 
um die Stelle des Staatssekretärs im Auswärtigen Amte zu über— 
nehmen, da Herr von Balan über kurz oder lang nach Brüssel 
zurückkehren solle. Ich schickte das Bucher, und der scheint es dem 
Fürsten vorgelegt zu haben; denn heute sagte mir „der Schwarze,“ 
daß der Chef sich Auskunft über den Verfasser ausgebeten habe. 
„Ich will jetzt — fügte er hinzu — an die Montagszeitung schreiben, 
habe aber wenig Hoffnung.“ In diesem Augenblick aber hatte 
ich schon folgendes Konzept Buchers in der Tasche: „Die lange 
Entfernung des Fürsten von Berlin, die ungünstigen Nachrichten 
über seinen Gesundheitszustand, die von Feinden und unter der 
Maske des Bedauerns von gewissen successionslüsternen Freunden 
verbreitet werden, haben die Elemente ermutigt, die einen Wechsel 
wünschen, der bekanntlich von einer hohen Dame nicht ungern 
gesehen würde.“ „Wenn Sie das — fügte B. hinzu — nicht direkt 
in ein Blatt (nicht offiziös) bringen können, so werden Sie es 
vielleicht, scheinbar unabsichtlich jemand erzählen, der es in die 
Presse besorgt.“ Ich besorgte das etwas weiter ausgeführt in den 
Hannoverschen Kurier, dem es dann andre Blätter, z. B. der 
Schwäbische Merkur (16. d. M.), nachdruckten. 
Zu gleicher Zeit dementierte die Norddeutsche Allgemeine 
Zeitung die Nachricht von der nahe bevorstehenden Rückkehr Balans 
nach Brüssel und der Absicht, Keudell zum Staatssekretär zu be- 
rufen, doch war dieses Dementi so gehalten, daß es schien, als sei 
die Sache noch in der Schwebe. Die Deutsche Zeitung in Wien 
vom 25. November machte auf diesen Umstand aufmerksam, indem 
sie bemerkte, die Worte des Braßschen Blattes: „Über eine Abberufung 
des Herrn von Keudell aus Konstantinopel und über die definitive 
Besetzung der Stelle des Staatssekretärs sind keine Entschließungen 
gefaßt,“ glichen einer halben Bestätigung. Vermutlich war dies 
von Aegidi geschrieben oder einem seiner Preßagenten eingegeben, 
und jetzt wurde von Varzin deutlicher gesprochen. Am 1. Dezember 
erhielt ich durch das Zentralbüreau von Bucher folgende Erklärung, 
die nicht in die Kölnische Zeitung kommen sollte, und die darauf 
im Hannoverschen Kurier erschien, dem sie andre Zeitungen ent- 
nahmen: „Herr von Keudell erfährt an sich das Sprichwort von 
den übereifrigen Freunden. Es ist im Kasino (in Berlin) eine 
bekannte Sache, daß er als nächste Staffel seiner künftigen Lauf-
	        
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