16. Dez. 1872 Zweiundzwanzigstes Kapitel 383
zulegen, und folglich auch nicht, aus dem preußischen Staats—
ministerium auszuscheiden. Dergleichen wäre bei der innigen Ver—
bindung Preußens mit Deutschland nicht denkbar, wenn er nicht
zugleich aufhören wollte, Reichskanzler zu sein. Dagegen ist so
viel richtig, daß er den Wunsch trägt, von der Stelle eines preußischen
Ministerpräsidenten entbunden zu werden. Er wird also in Zu—
kunft, angenommen, daß der Kaiser die Gründe, die für den Wunsch
sprechen, billigt, zunächst deutscher Reichskanzler, dann Führer der
preußischen Stimme im Bundesrat, endlich Minister der auswärtigen
Angelegenheiten und als solcher Mitglied des preußischen Staats-
ministeriums sein. Die Gründe aber, die den Fürsten bestimmen,
die Ministerpräsidentschaft in Preußen niederzulegen und sich an
der Mitwirkung an der Verwaltung Preußens zu begnügen, werden
zunächst in der absoluten Unmöglichkeit liegen, alle bisher von ihm
bekleideten Amter ohne Gefährdung seiner (beiläufig jetzt in erfreu-
licher Weise wiederhergestellten) Gesundheit weiter mit der erforder-
lichen Energie zu versehen. Die Ministerpräsidentschaft allein schon
nimmt bei dem kollegialen System, das im preußischen Ministerium
herrscht, die volle Arbeitskraft eines rüstigen Staatsmanns in An-
spruch, und ganz dasselbe gilt von dem Amte eines Ministers des
Auswärtigen für Deutschland, ganz dasselbe von den übrigen
Pflichten, die dem Fürsten seine Stellung als Reichskanzler auf-
erlegen. Schon das also, was er an Obliegenheiten und Geschäften
zu behalten gedenkt, wird nur mit großer Anstrengung und würde
kaum gedeihlich fortzuführen sein, wenn der Reichskanzler dabei
nicht in so tüchtiger und trefflicher Weise unterstützt und vertreten
würde, wie dies von den Männern, die ihm als oberstem Beamten
des Deutschen Reichs zur Seite stehen, bisher geschehen ist. Ein
andrer Grund, der den Fürsten bestimmen könnte, seine Enthebung
von dem Vorsitze im preußischen Staatsministerium nachzusuchen,
dürfte in dem Wunsche zu finden sein, nicht mehr in dem bis-
herigen Maße für die Richtungen und Beschlüsse der wegen jener
kollegialen Einrichtung sehr unabhängig vom Willen des Präsidenten
gestellten Ressortminister die Verantwortlichkeiten zu tragen. Als
ein Beispiel für die Unzuträglichkeiten, die hieraus entspringen, möge
die Erinnerung an das Ministerium Mühler dienen, in dem sich
geraume Zeit eine Behörde etabliert hatte, die sich die Förderung