384 Zweiundzwanzigstes Kapitel 18. Dez. 1872
ultramontaner Interessen angelegen sein ließ, und über deren eigent—
liche Natur der Ministerpräsident bei jener Lage der Dinge erst
aufgeklärt wurde, als sie schon allerlei Hindernisse für seine Politik
geschaffen hatte. Der Fürst wird also Reichskanzler und zugleich
als Minister des Auswärtigen Mitglied des preußischen Minister-
rats bleiben. Das Verhältnis Preußens zu Deutschland lockert sich
nicht durch die Modifikation seiner Stellung, die er im Auge hat.
Als Minister des Auswärtigen lag ihm bisher die Vermittlung
aller Beziehungen Preußens zum übrigen Deutschland ob, als
solcher hatte er in diesen Angelegenheiten die Immediatvorträge beim
König als deutschem Kaiser, als solcher instruierte er die preußischen
Bevollmächtigten beim Bundesrate, und alle diese Obliegenheiten
und Befugnisse würden ihm auch nach seinem Rücktritte vom Vor-
sitze im preußischen Ministerrate ohne Zweifel verbleiben müssen
und darum in der That verbleiben.“2
18. Dezember. Aus München wird von guter Hand ge-
schrieben, König Ludwig habe kürzlich an den Prinzen Adalbert
ein Handbillet gerichtet, dessen wesentlicher Inhalt folgender sei:
Von ihm, dem Prinzen, sei die Initiative zu dem Ministerium Gasser
ausgegangen, auf ihn falle folglich auch die Blamage zurück, nachdem
dieser Versuch gescheitert sei, und müßten Se. Majestät sich für die
Zukunft alle Einmischungen des Prinzen in die Staatsangelegenheiten
auf das ernstlichste verbitten.
1873
1. Januar. Nach einer Mitteilung aus Stuttgart, die auf
einem Gespräche mit Mittnacht beruht, ist über die Ursachen der
Entlassung des Freiherrn von Egloffftein (der vor kurzem Kabinetts-
vorstand des Königs Karl gewesen ist) und über die dadurch ge-
schaffne Situation das folgende zu notieren. Der König ist ent-
schlossen, seine Pflichten gegen das Reich zu erfüllen, Egloffstein
aber hat ihn täglich in partikularistischem Sinne bearbeitet. Die
Königin Olga fürchtet seit dem Jahre 1870 für die Existenz
1 Die katholische Abteilung im Kultusministerium.
2 Am 1. Januar 1873 wurde der Kriegsminister Graf Roon an des Fürsten
Bismarck Stelle zum Vorsitzenden des Staatsministeriums ernannt. Bismarck-
Regesten II, 57Zf. Roon, Denkwürdigkeiten III4, 337 f.