Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

21. Januar 1873 Zweiundzwanzigstes Kapitel 387 
unter allen Kabinettsmitgliedern angeschlossen. Graf Eulenburg 
siegte mit der ministeriellen Majorität im Kabinett, indes der Sou— 
verän gleichzeitig von den Winken Kenntnis erhielt, die an einige 
Herrenhausmitglieder betreffend eine eventuelle Amendierung der 
Kreisordnungsvorlage eingelaufen waren. 
„Fürst Bismarck und Graf Roon waren also vereint in der 
Minorität geblieben, indes der erstere vor der Welt als Minister— 
präsident noch immer für den Träger einer Politik galt, die er im 
Schoße des Kabinetts so ausdrücklich bekämpft hatte. Dies war 
wenig nach dem Geschmack des Reichskanzlers, der darin aufs neue 
einen Beweis für die Unzuträglichkeiten sah, die das in Preußen 
übliche Kollegialsystem des Ministerrats nach sich zog. 
„Hier also hoffte er eingreifen und Neues fördern, gleichzeitig 
aber den von ihm stets in erster Reihe festgehaltnen Neubau des 
Oberhauses abermals in die Hand nehmen zu können. Als er Varzin 
verließ, schwärmte eine Meute von Gerüchten vor ihm her, die sich 
alle auf sein Verhältnis zum Kabinett und auf die Erweiterung der 
Reichsministerien bezogen. Fast schien es, als wäre man der An— 
sicht, Preußens Aufgaben seien nunmehr lediglich innerer Natur, 
dort habe es alle seine Kräfte zu konzentrieren. Wie das Marine— 
wesen, die auswärtigen Angelegenheiten, die Verkehrsbeziehungen, so 
sollte auch die Armee in allen ihren Beziehungen zum Reiche dem 
Reichskanzleramte angeschlossen werden, sodaß der Chef des Kriegs— 
ministeriums als Staatsminister etwa in ähnlichen Beziehungen zum 
Reichskanzleramte stünde, wie jetzt General Stosch als Marine— 
minister und Staatsminister Delbrück als Präsident des Bundes— 
kanzleramts. Dann werde es nie mehr vorkommen können, daß in 
militärischen Dingen Erlasse des Kaisers statt vom Reichskanzler 
vom preußischen Kriegsminister gegengezeichnet würden u. s. w. Zu 
gleicher Zeit würde Hand in Hand mit dieser Änderung auch die 
Zusammensetzung des preußischen Ministeriums eine homogenere ge— 
worden und namentlich eine wirkliche Kabinettsbildung mit einem 
Chef herbeigeführt worden sein, der eine einzige und zwar eine per— 
sönliche Politik durch die Glieder dieses Kabinetts auch außerhalb 
vertreten lassen könnte. 
„Indes zur vollen amtlichen Entwicklung dieses Planes ist es 
kaum jemals gekommen. Als an höchster Stelle immer noch unter 
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