Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

404 Dreiundzwanzigstes Kapitel 27. Juni 1873 
(Fachminister), die sich zuweilen (dem Kanzler gegenüber) in passivem 
Widerstand äußert. Der Landtag, der Reichstag wollen auch be— 
stimmen. Dazwischen Hofeinflüsse. Die Mitglieder des R. T. (Reichs- 
tags) sind aufs äußerste erschöpft, verlangen aber, daß die Minister, 
die ebenso erschöpft sind, jetzt sofort an Ausarbeitung der Vorlagen 
für die nächste Session gehen. Alle Friktionen dieses komplizierten 
Räderwerks lagern sich zuletzt auf die Hauptwelle, den Premier= 
minister, den Kanzler ab.“ 
So weit der Chef. Ich erlaube mir einige Gedanken hinzu- 
zufügen, die in seinem Sinn sein dürften. Über die Parlamente 
wäre wohl zu sagen, daß sie keine feste Majorität geben, auf die 
eine Regierung sich stützen, aus denen eine solche hervorgehen könnte, 
Gründe: Jugend unsers parlamentarischen Lebens, Nachwirkung der 
nur theoretischen Beschäftigung mit Politik, Gegensätze, die durch 
die Ereignisse geschaffen sind, Welfen, Partikularismus, Ultramon- 
tanismus, Nachwirkung des studentischen Couleurwesens, daher Zer- 
bröcklung in Fraktionen, heiliges römisches Reich in dreihundert 
Territorien. Vielleicht Bezugnahme auf England. (In meiner 
Broschüre über den Parlamentarismus, wo von Irland die Rede 
ist, finden sich einige Pointen.) Schluß vielleicht: daß wir in ein 
paar Jahren nachzuholen haben, was unfre Vorfahren in Jahr- 
hunderten versäumten. 
Wenn es Ihnen recht ist, will ich das Manuskript lesen. Bitte 
es eventuell nach Wilhelmstraße zu schicken. 
Mit freundlichen Grüßen Bucher. 
P. S. Ich habe über einen andern Schluß nachgesonnen, und 
möchte folgenden Gedanken vorschlagen. Wie ist zu helfen? Publikus 
ruft: Reichsminister! Die werden auch wohl kommen, aber ob 
Caeteris paribus die Friktion geringer wird, wenn der Präsident 
und die Direktoren des R. K. A. (Reichskanzleramtes) selbständiger 
werden, das ist sehr zu bezweifeln. Zwei oder drei Leute sollen 
die Vorstellung haben, es würde alles besser gehen, wenn sie an 
die Stelle des Fürsten träten. Außer ihnen wird das freilich nie- 
mand glauben. Also langes Leben dem Chef! 
Die Prätendenten sind Keudell und Arnim. Der erste wartet; 
der zweite intrigiert aktiv.
	        
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