Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

28 Sechzehntes Kapitel 9. Januar 
richten hatte. Er sagte: „Wie die vom Reichstage neulich hier 
waren, da hatten sie mich beim Kronprinzen neben Rothschild gesetzt. 
Neben mir saß der Kronprinz, und hernach kam Simson. Roth- 
schild raucht stark und riecht danach, und so dachte ich eine kleine 
Mogelei vorzunehmen, ehe wir uns setzten. Es ging aber nicht; 
denn Hofmarschälle nehmen erst nach dem Diner Vernunft an und 
lassen mit sich reden. Ich rächte mich indes dadurch, indem ich 
meinem Nachbar allerlei zu hören gab,. So sagte ich ihm auch: 
Sie sollten doch in Berlin mehr ein Haus machen, Leute bei sich 
sehen u. s. w.#— „Wie meinen Sie das?e fragte er sehr laut, fast 
heftig. „Soll ich Diners im Gasthause geben?" — H uch das, 
erwiderte ich. Mir nicht, aber andern Leuten. Sie sind das, 
meiner Meinung nach, Ihrem Hause schuldig. Aber besser noch 
wäre, wenn Sie in Berlin ein eignes Haus hätten. Mit den 
Rothschilds in Paris und London ists ja doch nichts ordentliches 
mehr, und da sollten Sie in Berlin was thun. Man wundert sich 
immer, daß Sie noch nicht im Gothaer Hofkalender stehen. Na, 
was nicht ist, kann noch werden. Aber ich fürchte, wenn Sies so 
machen, wird nichts daraus.“ 
Zuletzt kam die Rede auf schöne Litteratur. Man sprach von 
Spielhagens „Problematischen Naturen,“ die der Kanzler gelesen 
hatte, und von denen er nicht ungünstig urteilte, aber doch bemerkte: 
„Das wird ihm allerdings nicht passieren, daß ich ihn zweimal 
lese. Man hat überhaupt keine Zeit dazu. Sonst aber kommt es 
wohl vor, daß ein vielbeschäftigter Minister so ein Buch zur Hand 
nimmt und ein paar Stunden daran hängen bleibt, ehe er wieder 
zu seinen Akten greift.“ 
Auch das „Soll und Haben“ Gustav Freytags wurde erwähnt, 
und man lobte die Darstellung des Polenkrawalls sowie die Ball- 
geschichte mit den Backfischen, wogegen man seine Helden unschmack- 
haft zu finden schien. Jemand sagte, sie hätten keine Leidenschaft, 
ein andrer gar, keine Seele. 
Abeken, der sich an dem Gespräche lebhaft beteiligte, machte 
die Bemerkung, er könne doch nichts von diesen Sachen zweimal 
lesen, und von den meisten der bekannten neuern Schriftsteller gebe 
es nur ein gutes Buch. 
„Na — versetzte der Chef —, von Goethe schenke ich Ihnen
	        
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