414 Dreiundzwanzigstes Kapitel 7. April 1877
Der Rücktritt des Reichskanzlers
Berlin, 7. April.
„Im folgenden bezeichne ich Ihnen den Stand der Dinge auf
der Wilhelmstraße, wie er heute ist. Ob er, wenn dies Blatt
nächste Woche die Presse verläßt, noch derselbe sein wird, läßt sich
nicht sagen, da es lediglich Sache der höchsten Stelle ist, ihn zu
ändern.
„Vollkommen sicher ist nur, daß es sich nicht um einen längern
oder kürzern Urlaub unsers Reichskanzlers, sondern um seinen förm—
lichen Rücktritt von der obersten Leitung der Geschäfte sowohl des
Reiches als Preußens handelt, um eine Entlassung aus seinen
Ämtern, die vom Fürsten längst erwogen und endlich in unzwei—
deutiger Weise verlangt worden ist. Andre Darstellungen der Sache
sind Fabel und leere Vermutung. Der Reichskanzler geht, nicht,
wie man wissen wollte, in längere Ferien als gewöhnlich, nicht auf
ein Jahr, sondern für immer, es wäre denn, so dürfen wir wohl
hoffen, daß der Grund, der ihn zum Gehen veranlaßt, entfernt würde.
„Dieser Grund aber liegt nicht in den Gesundheitsverhältnissen
des Fürsten, die allerdings besser sein könnten, als sie sind, die
aber wenigstens nicht als schlimmer bezeichnet werden dürfen, als
sie durchschnittlich in den letztvergangnen Jahren waren. Der Grund,
aus dem der Reichskanzler seinen Abschied gefordert hat, ist ferner
auch nicht im Ausgang der Affaire Stosch zu suchen, obwohl der—
selbe ihm gerade nicht zu besondrer Befriedigung gereicht haben
wird.1 Fürst Bismarck verläßt endlich — wie sich von selbst ver-
stehen sollte — das Ruder des Staatsschiffs nicht, um sich politisch
zur Ruhe zu setzen und sich den Arbeiten und Freuden des Land-
lebens zu widmen, obwohl er dieselben sehr wert hält und sich in
den letzten Jahren, so oft die Staatsgeschäfte es gestatteten, gern
auf sie zurückgezogen hat. Ein Mann von seinem Charakter und
seiner Vergangenheit weiß, daß er nicht seiner Neigung, sondern
seinem Lande, seinem Volke gehört, so lange er die Kraft und so
weit er volle, unbehinderte Gelegenheit hat, ihnen zu dienen.
„Und in diesen letzten Worten ist der eigentliche und alleinige
1 Wegen eines Konflikts des Reichskanzlers mit dem Chef der Admiralität,
General von Stosch, hatte dieser am 12. März seine Entlassung erbeten, der
Kaiser aber dies Gesuch am 25. März abgelehnt. Bismarck-Regesten II, 137. 141.