11. April 1877 Dreiundzwanzigstes Kapitel 417
der Fürst hatte sich bis auf weiteres dem Willen des Kaisers, daß
er Kanzler und Minister bleibe, gefügt und sich nur Urlaub auf un—
bestimmte Zeit erbeten. Er habe in allem Ernste seine Ämter nieder—
legen wollen, und es sei zweifelhaft, ob er wiederkehren werde. Graf
Stolberg sei von ihm zum Nachfolger ausersehen gewesen, da er
ein vornehmer unabhängiger Mann sei, der dem Hofe imponiere.
Jetzt seien der Mecklenburger Bülowt und Hofmann? zu Stellver—
tretern während der Abwesenheit des Chefs bestimmt.
Bucher erzählte ferner, daß auch in Baden „keine erquicklichen
Zustände“ am Hofe herrschten. Der Großherzog sei auf seiner
italienischen Reise unter die „feinen Köpfe der Kardinäle geraten und
von ihnen beinahe beschwatzt worden, Pio Nono einen Besuch zu
machen.“ Die Großherzogin verkehre mit den Pfaffen im Elsaß,
desgleichen mit orthodoxen Strebern wie Geffcken und Max Müller
und denke an Frieden mit den Ultramontanen. Die Entlassung
Jollys hänge damit zusammen.3 „Die Großherzogin — so berichtete
er weiter — hat auch um Abstellung der angeblichen Bedrückung
der Katholiken im Elsaß gebeten, ist indessen abschlägig beschieden
worden.“
In betreff der Kaiserin bestätigte er das, was er mir brieflich
mitgeteilt hatte, und fügte noch hinzu: „Im Frühjahr 1871 sollten
unfre Truppen viel früher zurückkehren. Aber die Königin wollte
bei deren Einzug zugegen sein und doch vorher ihre Badekur be-
endigen. Daher eine Verzögerung von vier bis fünf Wochen, die
unfrer Staatskasse bare neun Millionen gekostet hat. Was die Land-
wirtschaft dadurch verloren hat, ist unberechenbar. Auch die Ernennung
Gruners4 zum Wirklichen Geheimen Rate, die der alte Herr durch
Handbillet ohne Kontrasignation vollzog, ist ihr Werk. Gruner ist
ganz unfähig, gehört aber zur Fronde der Bonbonniere. Ahnlich
1 Der Staatssekretär.
2 Delbrücks Nachfolger als Präsident des Reichskanzleramts seit dem 1. Juni
1876, früher hessischer Minister.
3 Jolly wurde auf sein Ersuchen am 21. September 1876 entlassen, weil
der Großherzog mit seinen kirchenpolitischen Gesetzen innerlich nicht mehr überein-
stimmte, obwohl er sie genehmigte. Fürst Bismarck hatte sich vorher, im De-
zember 1875 bemüht, Jollys Stellung zu befestigen. Staatsminister Jolly 276 f.
4 G. u. E. II, 198 ff.
Busch, Tagebuchblätter II 27