11. April 1877 Dreiundzwanzigstes Kapitel 419
Er erzählte mir dann zunächst allerlei über die Hofklique, ihren
Anhang unter dem Kreuzzeitungsadel und unter den kaltgestellten
und noch fungierenden höhern Beamten und ihren vielfältigen Machi-
nationen, Ränken und Kabalen gegen ihn und seine Maßregeln.
Ausführlich charakterisierte er die Kaiserin,! die ihm nicht nur in
dem Streite mit den Klerikalen, sondern auch in rein politischen
Fragen in den Weg trete. „Sie hat immer eine Rolle spielen
wollen,“ sagte er. „Zuerst mit den Liberalen und Lichtfreunden,
jetzt mit den Ultramontanen und den orthodoxen Hofpredigern. Sie
ist fromm geworden — in deren Sinne, sie hat sich am Rhein mit
den klerikalen Kreisen eingelassen, als sie älter wurde, und wenn sie
nicht schon katholisch ist, so wird sies nächstens. Wir wissen, daß
sie mit Mermillod persönlich verhandelt hat und früher während des
Krieges mit Dupanloup brieflich. Sie hat an katholische Vereine
geschrieben, daß sie die Kirchengesetze mißbillige, und diese Briefe
sind veröffentlicht worden. Ferner die Verteidigung der Ursulinerinnen.
Sie hat (wie Eugenie 1870) direkte Reskripte an die Behörde er-
lassen, was ich erst später erfahren habe. Der Kaiser aber wird alt
und läßt sich von ihr immer mehr beeinflussen. Ich weiß noch, in
der Konfliktszeit, wie es am ärgsten war, da kam er einmal aus
dem Bade oder der Sommerfrische zurück, wo ihm seine Frau vor
der Opposition Angst gemacht hatte. Ich fuhr ihm bis Jüterbogk?
entgegen und setzte mich dort zu ihm in den Wagen. Er war sehr
niedergeschlagen, dachte an das Schafott und hatte die Idee, ab-
zudanken. Ich sagte ihm, daß ich nicht glaube, die Dinge stünden
so schlimm; die Preußen wären keine Franzosen, und wenn er an
Ludwig den Sechzehnten dächte, solle er sich doch lieber an Karl
den Ersten erinnern, der für seine Ehre und sein Recht gestorben
wäre. Wenn man ihn köpfte, so stürbe er auch für seine Ehre und
sein Recht. Was mich beträfe, so wollte ich das auch gern leiden,
wenn es sein müßte. Damit hatte ich ihm ans Portepee gegriffen,
1 Vgl. G. u. E. außer den auf S. 413 angegebnen Stellen noch: I, 37. 115.
121 ff. 125 ff. 211. 215/16. 239. 246/47. 268. 281 ff. 321. 348. II, 86 ff.
128 ff. 290.
2 Der König kam am 4. Oktober 1862 von Baden-Baden zurück. Bismarck-
Regesten I, 187. G. u. E. I, 283 ff. Dieselbe Geschichte erzählte der Fürst am
30. Oktober 1892 in Varzin.
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