Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

424 Dreiundzwanzigstes Kapitel 12. April 1877 
Man hatte im ersten der beiden Hinterzimmer gedeckt. Als 
ich eintrat, traf ich hier nur die Fürstin, die Komtesse Marie, 
den Grafen Bill und eine Dame mit polnischem Namen. Später 
erschien der russische General Erckert. Die Fürstin bemerkte, als 
sie meines weißen Halstuches ansichtig wurde: „Ei, Herr Doktor, 
Sie haben sich ja recht schön gemacht!“ Ich weiß nicht mehr, was 
ich antwortete; denn es fiel mir jetzt meine Sünde ein, und ich 
werde darüber etwas verblüfft gewesen sein. Zum Glück erschien 
bald der Fürst, und wir gingen zur Tafel, wobei der General der 
Frau vom Hause, ich der Tochter den Arm zu geben die Ehre 
hatte. Auf dem runden Tische stand eine schöne Silberkanne mit 
eingelassenen alten und neuen Münzen. Ich saß zwischen der 
Fürstin und der Komtesse, der Russe neben jener, der Fürst mir 
gegenüber. Dann folgte die kleine und zierliche Polin und zuletzt 
Graf Bill neben seiner Schwester. Wir tranken Bordeaux, Bur- 
gunder, Rheinwein, Champagner, Bier und zuletzt Chartreuse, die 
der Fürst als sehr gesund lobte. Die Unterhaltung war lebhaft 
und ungezwungen. Der General erzählte hübsche Geschichten von 
der Naivität der russischen Soldaten. Man kam auf den letzten 
Krieg zu sprechen, und ich erinnerte den Kanzler an Herny, wo er 
in der Bodenkammer eines Bauernhauses einquartiert gewesen sei, 
an Clermont, wo er in Ermanglung einer Bettstelle auf dem Fuß- 
boden seines Zimmers hätte schlafen müssen, an das Haus der 
Madame Jessé, die Koboldsuhr und den historischen Tisch. Auch 
er erzählte davon allerlei, u. a. seine Unterredung mit Madame 
und die Art, wie Hatzfeldt den Tisch „gerettet“ hätte, indem er 
einen ganz gleichen dafür hingestellt habe. 
Der Fürst brachte dann das Gespräch auf die Könige und 
Prinzen und ihre Auffassung der Welt. 
„Sie leben über den Wolken,“ sagte ich. 
„Wie meinen Sie das?“ fragte er. 
„Über der Wolke von Höflingen und andern Dunstwolken 
— erwiderte ich —, abgeschieden durch diese von dem Denken und 
Empfinden andrer Menschen, deren Wünsche und Anschauungen nur 
gebrochen zu ihnen dringen, nur adaptiert sie erreichen, bisweilen 
auch gar nicht.“ 
„Das Bild ist gut,“ versetzte er. „Götter und doch sehr
	        
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