432 Dreiundzwanzigstes Kapitel 26. April 1877
produktiven Kräften schritten; wenn nicht, wolle er gehen, da er
sich nicht stark genug fühle, um Ministerkrisen, den Bruch mit seinen
alten Kollegen und das Einleben mit neuen zu vertragen. Es sei
ein unbilliges Verlangen, daß er selbst die nötigen Arbeiten liefere
und sie der Kritik eines in entgegengesetzten Spuren (soll doch wohl
vor allen andern Dingen heißen, im Geleise der Manchesterschule)
gehenden Ressortministers unterwerfe. Einen solchen Weg habe er
in der Eisenbahnfrage eingeschlagen und äußerlich die Zustimmung
aller gewonnen, sobald es aber an die Ausführung gegangen, her—
gebrachtermaßen passiven Widerstand und die übliche Abweisung
gefunden, ähnlich wie bei der Fortschrittspartei, die auch zu sagen
pflege: Nur so nicht, sondern anders — nämlich so, wie es
nicht geht. Der Kanzler sagte damals: „Es handelt sich für
mich nur um die Ermittlung, ob meine jetzigen Kollegen diejenigen
Reformen, die ich für unabweislich halte, aus freien Stücken und
freier Überzeugung so betreiben wollen, daß sie mich in der Richtung
schieben und tragen würden, nicht aber ich sie. Wollten sie ersteres,
so würde er sehr gern seinen Kredit und seinen Namen in der Firma
lassen, um diese Reformen durchführen zu helfen.#
„Der Verfasser des Artikels der Kölnischen Zeitung äußert sich
so hoffnungsvoll in betreff der Reformwünsche des Fürsten, daß
man sich vielleicht fragen darf, warum sie, von dem Kollegen, den
sie vor allem angehen, zu Plänen ausgearbeitet und den Faktoren der
Gesetzgebung zur Annahme empfohlen, nicht denselben Erfolg haben
sollten, den er ihnen verspricht, wenn sie der Kanzler der Kritik
der Minister und der Reichstagsparteien unterbreiten wollte. Der
Kollege des Fürsten, der jenem Artikel offenbar sehr nahe stand,
als er geschrieben wurde, ist ein Mann von ebensoviel Selbstgefühl
als Vielseitigkeit. Er scheint Macht und Einfluß zu besitzen. Vor
zwei Jahren sagte er im Reichstage: Das Wort Unmöglich ist in
meinem Wörterbuch sehr klein gedruckt.#“ Er unterhält Beziehungen
zu dem Schlosse in Koblenz und ist gleichzeitig in einem hohen
Berliner Kreise, wo man sehr liberal und sehr lichtfreundlich ist,
als Grundpfeiler und Eckstein des Konstitutionalismus und des
kräftigen Protestantismus hochangesehen. Warum will er, der so
viel ist und vermag, nicht die Initiative zu den Reformen ergreifen,
die dem Kanzler am Herzen liegen? Ist es etwa, weil ihn daran