Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

14. Mai 1877 Dreiundzwanzigstes Kapitel 439 
Europa nur insofern gönnt, sie nur insoweit gutheißt, als sie sich 
vielleicht einmal für die Zwecke seiner Krämerpolitik verwerten lassen 
könnte. 
„Mit der Pariser Ausstellung verhielt es sich ähnlich. Auch in 
dieser Angelegenheit wurde von der Stelle aus, die wir im Auge 
haben, die zur zweiten Natur gewordne Mission, »für den Frieden 
zu arbeiten«, lebhaft empfunden und nach dieser Empfindung ge— 
handelt. Als die Regierung die Beschickung der Ausstellung trotz 
aller Vorstellungen und Einsprüche von jener Seite abgelehnt hatte, 
schickte Mac Mahon den Marquis d'Abzac, einen liebenswürdigen 
Herrn, auf dem bei einer frühern Gelegenheit hohe Augen mit be— 
sondrer Huld geruht hatten, nach Berlin, damit er einen letzten 
Versuch mache. Der Marquis blies die Friedensschalmei und ent— 
lockte ihr äußerst schmelzende Töne. Mit der Einladung, so hören 
wir ihn mit mildem, gewinnendem Lächeln flüstern, reiche Frank— 
reich den Deutschen die Hand zur Versöhnung. Die Ausstellung sei 
gleichsam ein Friedenskongreß. Weshalb man die dargebotne Hand 
des zum Freunde gewordnen Gegners von ehedem rauh zurück— 
stoßen wolle? Wie schön einer erhabnen Frauenstirn der Oliven— 
kranz stehen würde! — und so mit Grazie noch einiges, was zu 
schmeicheln und zu rühren geeignet war. Darauf abermalige Ver— 
wendung an höchster Stelle für das arglose, wohlwollende, so schön 
bittende Frankreich, wärmer, dringender als vorher, zuletzt ver— 
drießlich. Es half aber wieder nichts, und Monsieur le Marquis 
erlangte schließlich nichts weiter als einen der höchsten Orden. 
„Gesetzt aber den Fall, so fragen wir auch hier, es wäre anders 
gekommen, man hätte über bessere Einsicht in die Natur der Ver— 
hältnisse und klügern Rat hinweggesehen, und der Bote des Prä— 
sidenten der französischen Republik wäre mit der Annahme der Ein— 
ladung zu dem angeblichen Friedensfeste nach Paris zurückgekehrt, 
was wäre dann die wahrscheinliche Folge gewesen? Deutschland 
hätte die Ausstellung beschickt, seine Aussteller wären dadurch in 
eine mindestens sehr unbehagliche Position geraten, sie wären — wir 
haben ja Proben genug, wessen der nach Revanche dürstende Chau— 
vinismus der Franzosen auch auf harmlosem Gebiete fähig ist — 
Gefahren aller Art ausgesetzt gewesen, kurz, es waren Vorfälle 
möglich und mehr als möglich, die mindestens Erbitterung, vielleicht
	        
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