Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

440 Dreiundzwanzigstes Kapitel 14. Mai 1877 
einen Notenkrieg, denkbarerweise noch Schlimmeres zur Folge gehabt 
hätten. 
„Dieselbe Überzeugung, die Mission zum Friedenerhalten und 
Friedenstiften zu haben, erfüllt — man liest wohl zwischen den 
Zeilen — auch in betreff der Ultramontanen und ist neben andern 
Motiven Veranlassung zu einem Entgegenkommen geworden, das 
uns ohne diese Voraussetzung unbegreiflich sein würde. Nachdem 
diese Gesellen bei den Wahlen der Regierung eine fast beispiellos 
heftige Opposition gemacht, nachdem sie sich gegen die königstreuen 
Kandidaten die gemeinsten Schmähungen und die giftigsten Ränke 
erlaubt haben, kommen sie, den Fuchsschwanz in der Fracktasche, 
in den Kreis um die angedeutete Stelle munter und vergnügt, als 
ob sie kein Wässerchen getrübt hätten, und sonnen sich in der sie 
bestrahlenden Gnade und Huld. Ja man will wissen, daß bei der 
Zensur und Korrektur der Einladungen, die man vorzunehmen ge- 
wohnt ist, die Romtreuen, die sich herbeilassen, zu kommen — nicht 
alle thun dies —, niemals, die Königstreuen in der Regel gestrichen 
würden. 
„Vielleicht ist es erlaubt, die Moral dieser Mitteilungen fol- 
gendermaßen zu stilisieren. 
„Liebe zum Frieden steht an sich jedem Gemüt und Gesicht 
gut, vorzüglich dem weiblichen. Nur sollte unfrer unmaßgeblichen 
Meinung nach solche Liebe nicht dahin führen, daß man sich selbst 
als Friedensengel gefällt, daß man sich gern so genannt hört, 
daß man in dieser Rolle dem Kanzler seine Kreise stört, einsichtigem 
Rat gegenüber Opposition macht und hartnäckig Dinge befürwortet, 
die Kriege hervorzurufen und bereits entbrannte Kämpfe zu ver- 
längern angethan sind, indem der Feind im letztern Falle den Friedens- 
engel als Bundesgenossen aufzufassen gewöhnt wird und aus seinen 
Bemühungen immer neuen Mut zum Widerstande schöpft. 
„Friedensengel gehören in den Himmel, wo ihre Gefühlspolitik 
vermutlich allerhand Gelegenheit zu schönen Emotionen finden wird. 
Wir aber leben auf der Erde mit ihren harten Notwendigkeiten, die 
nur mit dem Verstande zu würdigen und zu überwinden sind.“ 
Am 21. Mai schrieb Bucher in Bezug auf diesen Aufsatz: „Der 
Arzt findet, daß die verordneten Medikamente zu kräftig und viel 
zu schnell hinter einander angewandt worden seien. Eine längere
	        
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