Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

444 Dreiundzwanzigstes Kapitel 24. Juni 1877 
auf welche Weise sich die Stimmung derselben in der angedeuteten 
Richtung allmählich geändert hat, ob nur durch Elemente, die sich 
nach und nach dort eingeschlichen, oder auch infolge einer bereits 
vorhandnen Disposition, die jene Elemente gewittert und dann 
genährt haben. Als sicher wird von Leuten, die es wissen können, 
angenommen, daß die Veränderung des Wetters in den obern Re— 
gionen mit gewissen Einflüssen in Verbindung zu bringen ist, die 
von hier, von Straßburg, ausgingen. 
„Von hier stellte sich unter andern in Karlsruhe wiederholt ein 
Herr ein, der vor einiger Zeit Anstellung an unsrer Universität 
gefunden hat — Sachkenner behaupten, weniger seiner wissenschaft— 
lichen Verdienste halber, als auf Grund von Empfehlungen von 
seiten einer einflußreichen Koterie, die ihre Verzweigungen bis über 
den Kanal erstreckt. Zur Charakterisierung desselben diene folgendes. 
Monsieur — ich nenne keine Namen — vertrat früher als Minister— 
resident in Berlin die Interessen gewisser kleiner Republiken, und 
da es auf diesem Posten nicht viel zu thun gab, er aber ein streb— 
samer Geist war, der das Bedürfnis, eine Rolle zu spielen, empfand, 
so sah er sich genötigt, mehr oder minder laut und öffentlich Privat— 
politik zu treiben. Er wirkte namentlich als Postenträger und 
Neuigkeitensammler der kleinstaatlichen Diplomatie und bemühte sich 
für die Ziele der Kliquen, denen er sich angeschlossen, durch Zei— 
tungsartikel Propaganda zu machen. Selbstverständlich — so darf 
man wohl sagen — war er eifriger Freihändler, und ebenso selbst— 
verständlich arbeitete er, als die schleswig-holsteinische Frage ihrer 
endgiltigen Lösung entgegenging, mit Eifer für die Augustenburgerei. 
Wäre es nach seinem Sinne gegangen, so hätte Hamburg 1866 
gegen Preußen mobil gemacht und wäre heute eine preußische Stadt. 
Man hätte ihm also in Berlin dankbar sein sollen, war das aber 
nicht, sondern verbat sich ihn. Der Senat schickte ihn darauf als 
Ministerresidenten nach London, wo seine Schwärmerei für das 
Haus Augustenburg — man erinnere sich, daß die Königin Viktoria 
die Schwiegermutter des Bruders des damaligen Erbprinzen, jetzigen 
Herzogs von Augustenburg ist — ihm manche Thür öffnete. Er 
hatte, so erzählt man, immer Neuigkeiten zu berichten; der Senat 
fand indes mit der Zeit, daß dieselben zu teuer zu stehen kamen, 
und zog die Stellung ein. Monsieur übernahm hierauf ein Amt
	        
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