Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

24. Juni 1877 Dreiundzwanzigstes Kapitel 445 
in der Verwaltung seiner Vaterstadt, scheint aber bald selbst gefühlt 
zu haben, daß seine Leistungen mit seinen Ansprüchen nicht recht 
im Einklang standen. So mußte anderweit für ihn Rat geschafft 
werden, und es wurde Rat geschafft. Seine manchesternen Grund- 
sätze empfahlen ihn dem damaligen Vorstande des Reichskanzler- 
amtes, und dessen Gehilfen machten — Sie sehen, es giebt noch 
Wunder — den verunglückten Diplomaten zum ordentlichen Pro- 
fessor an der Hochschule des Reichslandes. 1875 ließ er ein Buch 
fast so dick wie die Bibel vom Stapel, das sich „Staat und Kirche- 
nannte. Die zur Leistung eines richtigen Professors gehörige Kor- 
pulenz war durch eine ungefähr 600 Seiten lange oberflächliche 
historische Kompilation gewonnen. Die letzten Bogen enthalten eine 
abfällige Kritik der Falkschen Gesetze, die, höflich ausgedrückt, sehr 
populär gehalten ist, etwa, als ob sie für ein Damenpublikum be- 
rechnet wäre. Der eigentliche, allerdings nicht mit dürren Worten 
ausgesprochne, aber deutlich zwischen den Zeilen zu lesende Inhalt 
des Werkes läßt sich mit einer einzigen Zeile wiedergeben: Ich bin 
der Kultusminister, wie er sein soll. Von Baden erhielt der Ver- 
fasser, wie man ferner hört, weitere Empfehlungen, die aber in 
amtlichen Kreisen an der Kenntnis und Würdigung seiner Ver- 
gangenheit abgeprallt sein sollen. Monsieur liest seitdem öffentliche 
Kollegien über allerlei Dinge und einige andre mit politischer Zuthat, 
die dem französisch gesinnten Spießbürger so gefallen, daß er fleißig 
hospitiert. 
„Noch ein andrer Herr Professor fand den Weg über die Kehler 
Brücke und in die Gegend, die man den Griff des Karlsruher 
Fächers nennen kann. Ich lasse auch ihn ungenannt und sage zunächst 
nur, daß er zu der Couleur Bunsen gehört, und daß er meines 
Wissens zu denjenigen deutschen Gelehrten zählt, für die die Reklame 
am nachdrücklichsten und ausdauerndsten gearbeitet hat. Er ist 
Mitglied der Berliner Akademie der WMissenschaften, desgleichen 
Membre de I'Institut und soll ein tüchtiger Sanskritforscher sein, 
was ich nicht in Zweifel ziehe, wenn ich es auch nicht recht ge- 
schmackvoll finden möchte, daß seine guten Freunde in der Augs- 
burger Allgemeinen ihn selten nennen, ohne ihn mit der Apposition 
unser berühmter Landsmann zu bekränzen. Die Herausgabe 
indischer Texte, wofür einer der Orleans sich interessiert und zahlt,
	        
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