Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

450 Vierundzwanzigstes Kapitel 16. Okt. 1877 
weiter, ein Paar genau sehende Augen, Sinn auch für das Kleine 
und ein treues Gedächtnis sein; denn die Welt will bis ins ein— 
zelne wissen, wie es hier aussieht und zugeht, und die Nachwelt 
wird diesen Wunsch sicher in noch stärkerm Maße hegen. 
Sinn für das Kleine, das Äußerliche, das dem Bedeutenden 
wenig Bedeutende? Epische Breite notwendig? Verlangen danach? 
fragen — so vermute ich nach Erfahrungen — Leute, die sich zu 
den Bedeutenden zählen. Warum nicht? erwidere ich. Die aus— 
führliche Beschreibung des Schildes Achills wurde natürlich und 
schön gefunden und nicht bloß von den Griechen. Sollte man nicht 
hoffen dürfen, daß eine solche Schilderung von Haus und Hof des 
Haupthelden im Epos unsrer Tage, wenn nicht den Deutschen der 
Gegenwart, so doch denen der Zukunft noch natürlicher und noch 
werter sein werde? So nahm ich mir denn jenen Sinn, jenes Ge— 
dächtnis und jene Augen auf die Reise mit und ließ mich außerdem 
von einem guten Gehör begleiten. 
Auf dem Wege bis Schlawe, wo ich nach zehn Uhr abends 
ankam und im Gasthofe von Prahlow abstieg, gab es für diesen 
Reiseapparat nicht viel zu thun, da er sich nur mit dem Kanzler 
und seiner unmittelbaren Umgebung beschäftigen sollte. Das Einzige, 
was ich zu notieren fand, war eine hübsche Anekdote. Sie stammte 
aus der Sturm- und Drangperiode Bismarcks und aus dem 
Mythenkreise, der sich in Pommern um das Gut Kniephof und den 
von 1839 an dort hausenden „tollen Junker“ gebildet hatte. 
Schaudernd hörten damals die jungen Fräulein der benachbarten 
Edelhöfe und deren Mütter und Basen, kopfschüttelnd und ein 
schreckliches Ende weissagend deren Väter und Onkel von wüsten 
Gelagen, bei denen Fluten von Champagner und Porter, zu „Kriegs— 
bowlen“ gemischt, vertilgt worden waren, von Ritten, als ob der 
wilde Jäger daher käme, von Pistolenschüssen, mit denen mitten in 
der Nacht die Gäste geweckt wurden, von kecker Verspottung des 
Herkommens durch allerlei Unfug und lUbermut. Daß vieles hier- 
von Wahrheit sei, konnte das alte Herrenhaus in Kniephof bezeugen, 
das, von den Genossen oder den Tadlern des Junkers nicht uneben 
in „Kneiphof“ umgetauft, jetzt längst einem elegantern Platz gemacht 
hat. Daß manches wenigstens zur Hälfte Dichtung der Nachbarn 
sei, konnte es ebenfalls darthun. Das Unheil endlich, das gesetzte
	        
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