462 Vierundzwanzigstes Kapitel 18. Okt. 1877
eine Hebe zu sein, und die ehemaligen Besitzer des Hauses mögen
hier mit ihrem Besuche getafelt und bankettiert haben. Die Aus-
sicht von hier ist nach beiden Seiten anmutig: die vordern Fenster
zeigen in einiger Entfernung den kleinen Park mit der zweiwipf-
ligen Fichte, die hintern sehen über den Blumengarten und den
ovalen Teich auf den ersten Durchhau im großen Park mit seinem
weißen Kuppeltempelchen hinaus.
In das Erdgeschoß zurückgekehrt besuchen wir zunächst den
Speisesaal, ein mittelgroßes Zimmer, dessen Tapeten auf graublauem
Grunde braune und dunkelblaue Arabesken zeigen. Ein gelber Tisch,
über dem eine Lampe mit Schirm und Kugel von Milchglas hängt,
und unter dem ein schwarz= und rotgemusterter Teppich ausgebreitet
ist, ein Polstersessel mit Lederüberzug, auf dem der Fürst den Diners
präsidiert, etwa ein Dutzend einfache gelbe Rohrstühle, zwei alter-
tümliche Schränke von dunkelm Eichenholz und ein Buffet von dem-
selben Material sind die Ausstattung des Raumes. Von dem Simse
des einen Schrankes sehen eine große Eule und ein andrer Raub-
vogel mit ihren Glasaugen den Speisenden zu, und an der Wand
gegenüber von den beiden Fenstern gewahren wir eine Anzahl von
Lithographien unter Glas und Rahmen, die Szenen aus dem Leben
auf den amerikanischen Prairien darstellen.
Zwischen fünf und sechs Uhr abends fand hier das Diner statt,
das sich während meines Aufenthalts in Varzin unter meist leb-
haften und zuweilen recht denkwürdigen Gesprächen gewöhnlich bis
nach sieben Uhr ausdehnte, und an dessen Schlusse der Fürst eigen-
händig auch seine Hunde von einem Teller mit gekochtem Fleische
zu speisen pflegte. Die hohe Gestalt in dem Lehn= und Armstuhl
vor dem obern Ende des Tisches, rechts und links von ihr die zu
ihr aufblickenden Doggen — gestrenge Kritiker mit „Mannesseelen“
und dem üblichen allerernsthaftesten und doch komischen Selbstgefühle,
die mit „Lakaiengesinnung“ und ähnlichen Artigkeiten um sich zu
werfen gewohnt sind, werden es möglicherweise übel vermerken, wenn
ich sage, daß mir dabei Bilder mit Gott Wuotan und seinen beiden
Wölfen in den Sinn kamen. Ihre Mißbilligung soll mich aber
ebensowenig anfechten und irre machen.
Bei den Mahlzeiten kam, soweit möglich, nur Selbstgezognes,
Selbsterbautes und Selbsterlegtes auf den Tisch. „Fast alles, was