Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

34 Sechzehntes Kapitel 10. Januar 
Den Abend gearbeitet und vorzüglich Depeschen gelesen. — 
Der Rumänier hat dem Kanzler einen eigenhändigen Brief geschrieben 
und um Rat in seiner Not gebeten. Er scheint in höchster Ver— 
legenheit zu sein, die Mächte aber werden ihm nicht helfen. Eng— 
land und Osterreich sind mindestens gleichgiltig, die Pforte ist nicht 
überzeugt, daß die Vereinigung der Fürstentümer ihr nicht schädlich 
sei, Frankreich jetzt außer Frage, der Kaiser Alexander will dem 
Fürsten Karl zwar wohl, wird sich aber auch nicht einmischen, und 
von Deutschland, das in Rumänien kein Lebensinteresse sieht, ist 
ebenso wenig ein Einschreiten zu erwarten. Wenn der Fürst sich 
also nicht selbst aus der Not helfen kann, so wird er gut thun, 
sich zurückzuziehen, bevor man ihn dazu nötigt. So der Rat, den 
ihm der Chef durch Keudell erteilt hat. — Beust ist hiervon ver- 
ständigt worden.1 Er scheint mit der Depesche, mit der er die An- 
zeige von der bevorstehenden Vereinigung des deutschen Südens 
mit dem Norden beantwortet hat, in eine neue Phase seiner politischen 
Auffassungsweise eingetreten zu sein, und es ist möglich, daß sich 
selbst unter ihm ein befriedigendes Verhältnis zwischen den beiden 
neugestalteten Mächten Deutschland und Osterreich-Ungarn entwickelt 
und erhält. Er hat gemeldet, daß in Wien ein neues Witzblatt: 
„Der Bismarck“" im Bestehen begriffen ist, und will diesen Namens- 
mißbrauch womöglich verhindern.? — Der Chef hat dieser Tage 
an den König ein Schreiben gerichtet, worin er bittet: 1. ihm die 
Telegramme des Generalstabs vor ihrer Absendung nach Berlin 
mitteilen und seine Zustimmung dazu einholen zu lassen, da sie 
von politischer Wirkung sein könnten, wie z. B. das von den Gra- 
naten, die in den Garten des Luxembourg gefallen seien; 2. zu 
befehlen, daß er ausführlichere Kenntnis von den militärischen Vor- 
gängen erhalte, da er genaues darüber jetzt bloß aus Zeitungen 
und von Privatleuten erfahre. Leutnants und Johanniter seien 
davon besser unterrichtet als er. 
  
1 Der Brief Bismarcks vom 10. Januar jetzt im Wortlaut in den Auf- 
zeichnungen „Aus dem Leben König Karls von Rumänien“ II, 147 ff., die 
Antwort König Wilhelms auf sein Schreiben vom 9. Dezember a. a. O. 152 f., 
vgl. oben S. 17. 
2 Gemeint ist wohl Beusts Schreiben vom 26. Dezember 1870, die Ant- 
wort auf die Depesche Bismarcks vom 14. Dezember.
	        
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