Oktober 1877 Vierundzwanzigstes Kapitel 469
meinem Namen und Stande habe ich es nicht weiter gebracht, als
daß ich, um nicht zu verletzen, zu der Meinung andrer schweige.“ —
Ferner erzählt Kanzler von Müller über eine Unterhaltung mit dem
Dichter: „Seine ganze Haltung gab mir den Begriff eines unbe-
friedigten großartigen Lebens, einer gewissen innern Desperation,“
und bei einer andern Gelegenheit bemerkte Goethe gegen ihn:
„Unsinn verbreitet, offenbare Irrtümer als bare Wahrheit aus-
gegeben zu haben, ist das Schrecklichste, was einem Vernünftigen
begegnen kann. So ist aber die liebe Menschheit.“ — „Was ist
denn überhaupt am Leben?“ seufzte er ein andermal gegen diesen
Freund. „Man macht alberne Streiche, beschäftigt sich mit nieder-
trächtigem Zeuge, geht dumm aufs Rathaus, klüger herunter und
am andern Morgen dümmer wieder hinauf. Ich bin alt genug,
um Ruhe zu wünschen. Ich habe keinen Glauben an die Welt
und habe verzweifeln gelernt.“ (Goethes Unterhaltungen mit Müller
von Burckhardt.)
Wir nehmen unsern Gang durch das Schlößchen von Varzin
wieder auf. Begeben wir uns in das Entree hinter der Hausthür
zurück und öffnen wir die Thür gegenüber dem Speisesaal, so
kommen wir in ein Gemach von gleicher Größe wie dieser. Es ist
grau tapeziert und mit Möbeln von dunkelbraunem Eichenholz aus-
gestattet. Die Eingangsthür verhüllt innen ein Vorhang, der auf
weißem Grund eingewirkt das schwarze Bild Kaiser Heinrichs des
Vierten vor dem Burgthor von Kanossa zeigt — kein Memento.
denke ich, sondern als der Ausdruck fester Zuversicht von dem Ver-
fertiger, dem Fabrikanten Schaller im sächsischen Städtchen Ernst-
thal, dem Fürsten gewidmet. Die Bilder an den Wänden des
Zimmers, durchgehends Photographien, stellen meist preußische
Fürsten in historischen Momenten ihres Lebens dar. Wir bemerken
unter ihnen namentlich den Großen Kurfürsten auf seiner Schecke,
im Begriff den Degen zu ziehen, der bei Fehrbellin siegte, den
alten Fritzen mit dem bekannten Krückstocke auf einem Schimmel
und Kaiser Wilhelm auf dem Rappen, der ihn zur Viktorie von
Sadowa trug. Der zuletzt genannte königliche Kriegsmann begegnet
uns im Konterfei hier wie sonst im Hause in andrer Situation
wohl noch sechs oder sieben mal.
Eine Thür in der Wand den beiden Fenstern gegenüber läßt