Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

486 Vierundzwanzigstes Kapitel Varzin 
Gegen zwölf Uhr fuhr für mich und Holstein ein Wagen vor, 
während für den Kanzler und seinen Sohn gesattelte Pferde vor 
die Hausthür geführt wurden. Es galt einen großen Ausflug nach 
dem Südosten der Herrschaft, wo sich die lange Hügelkette hinzieht, 
die ich auf der Fahrt von Schlawe hierher am Horizonte gesehen 
hatte. Wir passierten dabei erst etwas Buchenwald, dann Felder 
und Wiesen, darauf wieder Buchenwald, der sumpfige Stellen hatte, 
und gelangten zuletzt durch ältere Bestände und Schonungen von 
Kiefern auf eine kahle Höhe in der Nähe der Försterwohnung Annen- 
hof, wo man fern in der Tiefe Schloß Crangen mit seinen vier 
Türmen und seinem blauen See liegen sieht. Man überblickt hier 
auf der andern Seite die ganze Herrschaft Varzin. Als ich sagte, 
das wäre ja ein recht stattliches kleines Reich, erwiderte der Fürst: 
„Ja, wenn ich mir Varzin zum Herumreiten und Spazierenfahren 
gekauft hätte, so wäre es eine gute Acquisition; aber so — Kartoffel- 
land!“ — Er zeigte uns dann die jungen Waldbäume, mit denen 
er einen Teil des sich nach dem Becken von Crangen zu abdachenden 
Hügels bepflanzt hatte, und freute sich, daß fast alle gut gediehen. 
„Das Land — sagte er — habe ich dem Pastor in Crangen abgekauft. 
Das ist auch einer, wie sie nicht sein sollen. Der hat als Vor- 
mund schlecht an seinen Mündeln gehandelt. Es waren die Fräulein 
von Podewils, die nur noch die sechshundert Acker hatten; die hat 
er ihnen für sechshundert Thaler abgenommen und sie mir dann 
für fünfzehnhundert verkauft. Jetzt sitzen die armen Mädchen in 
Schlawe und ernähren sich mit Nähen und Stricken.“ Er erzählte 
dann noch, daß der geistliche Herr ein Pensionat für junge Damen 
gehalten habe, und daß er seine Zöglinge des Morgens und des 
Abends in so verdächtiger Weise besucht habe, daß die Regierung sich 
bewogen gefunden hätte, die Anstalt zu schließen. „Dabei gehört er 
zu den Frommen im Lande — fügte erhinzu —, ich wollte sagen, 
zu den Orthodoxen.“ 
Erst nach vier Uhr kamen wir von Annenhof über Puddiger 
und Wussow nach Varzin zurück. Von Keil war inzwischen die 
Fahne zu Nummer 3 der „Erinnerungen“ eingetroffen, und nach 
einer Weile ließ mich der Chef nach seinem Zimmer rufen, um mir 
einige der Korrekturen, die er daran vorgenommen hatte, zu erklären. 
Unter anderm hatte er einen Teil dessen, was er über Radowitz
	        
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