Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

488 Vierundzwanzigstes Kapitel Varzin 
„Einundsiebzig — erwiderte er —, doch das weiß nur Gott.“ 
Als wir zum Diner abgerufen wurden, ließ er mich in Graf 
Bills Zimmer vorausgehen, und während er hinter mir herschritt, 
klopfte er mir wie liebkosend einigemale auf den Rücken — offenbar 
in der Stimmung, in der er mich in Ferrieres „Büschlein“ genannt 
hatte. 
Von dem, was er diesen Abend bei Tisch und später beim 
Kaffee sagte, habe ich nur eine hübsche Anekdote behalten. Einst 
hatte der Junker von „Kniephof“ einen Husarenleutnant bei sich zu 
Gaste, der im Begriffe stand, einen Onkel in der Nachbarschaft zu 
besuchen, der viel auf Etikette und wohlgezirkelte Sitte hielt, und 
bei dem sich am nächsten Tage Gäste ähnlicher Art und Meinung 
zu einer Festlichkeit versammeln sollten. Bismarck beredete in der 
Nacht vorher den Leutnant zu scharfem Zechen und brachte ihm auf 
diesem Wege so viel guten Getränks bei (wenn ich mich recht erinnere, 
so wars „Kriegsbowle,“ Champagner und Porter), daß er zuletzt 
beträchtlich mehr als genug hatte. Dann ließ er am Morgen einen 
Wagen ohne Federn anspannen, auf dem er mit seinem Gaste nach 
dem Schlosse des Onkels fuhr. Die Wege waren nicht gut, der 
Regen der vorhergegangnen Tage hatte sie aufgeweicht und in Kot- 
lachen verwandelt, sodaß die beiden jungen Herren übel bespritzt 
ankamen, der Leutnant aber obendrein in seekranker Verfassung. Die 
Gesellschaft, die sie dort versammelt fanden, an die vierzig Personen, 
die Damen in großer Toilette, die Herren in Frack und weißer 
Binde, sah sie mit Blicken, die halb Staunen, halb Grausen waren, 
ins Zimmer treten, und der Husar wurde bald nachher unsichtbar. 
Bismarck aber setzte sich trotz des Abscheus, den die guten Leute 
sichtlich vor ihm empfanden, heiter und gelassen mit ihnen zu Tisch 
und that, als ob an ihm nichts auszusetzen wäre. Man sagte dann, 
es wäre doch merkwürdig, daß er gar keine Ahnung gehabt hätte, 
wie unangenehm er aufgefallen sei. 
Am Montag früh elf Uhr reiste ich, wieder mit der Post, von 
Varzin nach Schlawe und von dort mit der Eisenbahn zunächst nach 
Berlin und darauf nach Schönhausen. 
Ehe ich die Leser mir dahin zu folgen bitte, noch einige Be- 
merkungen über die Herrschaft Varzin, die nach Außerungen des 
Reichskanzlers bei verschiednen Gelegenheiten niedergeschrieben wurden.
	        
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