Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

Friedrichsruh Fünfundzwanzigstes Kapitel 517 
Abgeordnetenhause und im Erfurter Parlament am öffentlichen Leben 
beteiligte, hängten ihm die Gegner der damals von ihm vertretnen 
Grundsätze die Bezeichnung „Junker“ an, ja Georg von Vincke, 
der Superkluge, gab ihm bei einer Debatte in der zweiten Kammer 
zu verstehen, er halte ihn für das „personifizierte Junkertum,“ 
womit er ihn im eminenten Sinne der Partei anreihte, die zu jener 
Zeit mit allen Mitteln der von der preußischen Nationalversamm- 
lung und ihren parlamentarischen Nachfolgern angestrebten Abschaffung 
der feudalen Einrichtungen, der ritterschaftlichen Privilegien und 
andern lberbleibseln des Mittelalters Opposition machte. Wie weit 
Vinckes Behauptung damals zutraf, soll hier nicht untersucht werden, 
genug, daß sie sehr cum grano salis zu nehmen war, und daß die 
Beschränktheit des politischen Horizonts, das Pochen auf angebliches 
Recht und die starke Dosis Insolenz, die man mit dem Begriffe 
Junkertum verband, bei weitem weniger in den parlamentarischen 
Außerungen des „Junkers von Schönhausen“ als in den Reden 
seiner liberalen und demokratischen Antagonisten zu bemerken war. 
Trotzdem blieb Bismarck für einen großen Teil der öffentlichen 
Meinung in Deutschland lange Zeit und für gewisse „gesinnungs- 
tüchtige“ Biedermänner bis auf den heutigen Tag im Grunde ein 
„Junker“; denn erstens gehörten unbelehrbare Konsequenzen, hals- 
starriges Festhalten an Parteistichwörtern und unablässiges Wieder- 
kauen von längst schal gewordnen Phrasen zu der echten Gesinnungs- 
tüchtigkeit, dann regte die Bezeichnung das gedankenlos nachbetende 
Publikum gegen den unbequemen Staatsmann auf und wirkte 
namentlich als Wahlruf bester Sorte. Schließlich aber verdroß 
Bismarcks selbstbewußtes, bisweilen geringschätziges Auftreten gegen- 
über der Zunft der Fortschrittsphilister und ihrer Vettern und Ge- 
vattern, die er auch unwillkürlich merken ließ, daß er ein vor- 
nehmer Geist war, und daß sie wenig Anspruch auf das Lob staats- 
männischen Denkens und ganz und gar keine Befähigung zu prak- 
tischer Geschäftsthätigkeit hatten. 
Wie wenig er schon 1865 thatsächlich zu den Junkern vom 
groben oder feinen Schrot gehörte, mag unfre Anekdote zeigen. Durch 
den Gasteiner Vertrag (14. August 1865) war das Herzogtum Lauen- 
burg an die Krone Preußen übergegangen. Dieses Ländchen war 
aber eine juristische Kuriosität und im Vergleiche mit benachbarten
	        
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