Friedrichsruh Fünfundzwanzigstes Kapitel 527
Wenn der Kanzler in die Ferien geht, so geschieht es, um sich
in grüner Einsamkeit zu erholen, sich einmal wieder als Landedel-
mann zu fühlen und täglich die Waldstille aufzusuchen, „wo man
nur den Specht hört.“ Ganz gelingt ihm freilich die Isolierung
nie, und zwar in Friedrichsruh weniger als in Varzin, das weitab
von Großstädten und Weltstraßen liegt. Die Welt folgt ihm auf
den Eisenbahnschienen und Telegraphendrähten nach; denn sie be-
darf seiner als ihres Atlas auch, wenn er ihrer nicht bedarf, sie
vielmehr von den Schultern schütteln möchte. Sie kommt zu ihm
in Briefcouverts und Aktenbündeln und in Gestalt von Besuchen,
heimischen und fremden Ministern, Botschaftern und Räten, die alle
mehr oder minder wichtige Fragen oder Berichte mitbringen und es
meist eilig haben. Es giebt also hier zu jeder Zeit Geschäfte, nicht
so viel, insbesondre nicht eine solche Last kleinen Gemüses wie in
Berlin, aber immerhin mehr als genug. Zu ihrer Erledigung
werden als Gehilfen der oberste Expedient der Reichskanzlei, Ge-
heimrat von Rottenburg, und ein Sekretär mitgenommen, die oft
reichlich zu thun haben. Und was das große Reich nicht an Ar-
beitskraft beansprucht, verlangt mit seinen Bedürfnissen, seinen Sorgen,
seinen Schöpfungen und Verwandlungen das kleine Reich der fürst-
lichen Besitzungen und hier zunächst dessen Provinz im Amte
Schwarzenbeck, wo Oberförster Lange mit Fleiß und Würde waltet.
Die Pflichten der Großgrundbesitzer werden vom Fürsten mit Verständ-
nis und Sorgfalt wahrgenommen, nicht minder die entsprechenden
Rechte. Er läßt sich regelmäßig über die Verwaltung seines Wald-
und Feldeigentums Bericht erstatten und sieht auf seinen Fahrten,
Ritten und Gängen persönlich nach, wie es steht, und wo es fehlt,
wie weit es mit der oder jener Anlage oder Verbesserung ist, wie
die Saaten aufgehen und gedeihen, wie den Kühen im Wickenfelde
die neue Weide bekommt, und dergleichen Dinge mehr.
Die tägliche Ordnung im Leben des Reichskanzlers hat in
Friedrichsruh wie in Varzin etwa folgende Regel. Früh Arbeit
am Schreibtisch, dann bei gutem Wetter ein Gang oder Ritt, wohl
auch ein Ausflug zu Wagen in die Nachbarschaft, wo meist gute,
auch chausseeartige Wege sind. Hierauf das zweite Frühstück mit
der Familie, Rottenburg, dem Sekretär und den etwa eingetroffnen
Gästen, das um zwei Uhr nachmittags beginnt, und während dessen