Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

November 1878 Sechsundzwanzigstes Kapitel 539 
In ähnlicher Weise äußerten sich noch einige Organe der deutschen 
Tagespresse. Die weit überwiegende Majorität der Zeitungen dagegen 
urteilte, wie gesagt, mehr oder minder entschieden ungünstig über 
das Werk. 
Komisch ging es der sonst verständigen, wohlgesinnten und 
zuweilen gut unterrichteten Post mit dem Werke. Am 10. November 
konstruierte sie „auf dem Wege der gesunden Vernunft“ in einem 
Artikel: „Indiskrete Bücher,“ wie es sich mit der Veröffentlichung 
des Buches verhalten haben müsse. Hinweisend auf das Versailler 
Tischgespräch, bei dem der Fürst von meinem Tagebuch erfuhr, 
gelangte das Blatt — oder sein Mitarbeiter, der Professor Kon— 
stantin Rößler? — zu folgenden Schlüssen: „Wer den Charakter 
des Kanzlers kennt, der wird uns beistimmen, daß er sich damals 
gesagt haben wird: Wenn dieses Tagebuch existiert, soll es bei der 
ersten Gelegenheit heraus. Es ist dieselbe Methode, die der Kanzler 
bei den diplomatischen Urkunden in unberechtigten Händen bekundet 
hat. Die Verschiedenheit der Personen, die in dem einen Falle 
gerichtlichen Zwang erforderte, mag in dem andern Falle nur eines 
zulassenden Winkes bedurft haben. Worin besteht der Charakterzug, 
aus dem diese Methode folgt? Wir denken in dem Bewußtsein, 
daß das lächerlichste Ding auf der Welt Geheimnisse sind, deren 
wir uns entäußert haben, die in Schriftstücken oder auch nur in 
menschlichen Erinnerungen außer uns verschlossen sein sollen. Das 
Siegel, das wir auf äußere Dinge legen, selbst ein äußeres Ding 
wird früher oder später, leichter oder schwerer, geschickter oder un- 
geschickter zerreißen, wenn das Geheimnis der Mühe lohnt, und 
wir haben die Stunde nicht in der Hand, die in eine sehr ungelegne 
Konstellation treffen kann. Also zerreiße das Siegel, oder viel- 
mehr mache nie den Versuch, Geheimnisse zu haben, die du nicht 
in deinen Gedanken behalten hast, die in irgend einer Form in die 
Außenwelt gelangt sind.. Fürst Bismarck liebt nicht, daß von 
ihm solche Geheimnisse existieren, und kann es nicht lieben. Dies 
unfre Erklärung, warum jenes Tagebuch veröffentlicht worden ist, 
und sie steht uns so fest wie irgend ein vernünftiger Schluß.“ — 
Sie stand aber nicht lange fest, diese Erklärung, deren Urheber nichts 
von geheimen Aktenschränken und Archiven zu wissen schien und den 
Umstand außer acht gelassen hatte, daß das Tagebuch fast acht
	        
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