23. Febr. 1879 Sechsundzwanzigstes Kapitel 543
wortung, und da keine solche erfolgte, nahm ich an, daß jene Absicht
aufgegeben worden sei. Wir gingen aber nun an die Reorganisation
der Grenzboten, und ich schrieb mehrere Artikel für diese, die die
neue Zollpolitik des Reichskanzlers lebhaft empfahlen und gegen
die Vertreter des absoluten Freihandels entschieden Front machten,
wobei ich von Bucher mit mündlichem und schriftlichem Rate fleißig
unterstützt wurde.“) Am 10. Januar 1879 aber wandte ich mich mit der
Bitte um weitere Information an den Chef selbst, worauf ich von
dessen jüngerm Sohne unterm 15. folgendes Schreiben erhielt:
„Sehr geehrter Herr Doktor!
In Erwiderung Ihres gefälligen Schreibens vom 10. d. M.
beehre ich mich, Sie im Auftrage meines Vaters zu benachrichtigen,
daß er augenblicklich so sehr durch Geschäfte in Anspruch genommen
ist, daß er zu seinem Bedauern nicht die Zeit für eine Unterredung.
mit Ihnen erübrigen kann.
Er hofft indessen, daß sich in nächster Zeit die Arbeitslast
verringern wird, und wird sich dann sehr freuen, Sie zu sehen.
Mit vorzüglichster Hochachtung
Ihr sehr ergebener
Graf W. Bismarck."
Am 23. Februar ließ mich der Fürst auf den nächsten Nach-
mittag zu sich bestellen, wo ich von 2¾ bis 3¾ Uhr mit ihm eine
Besprechung hatte, die in vieler Hinsicht sehr merkwürdig war.
Theiß meldete mich, Mantey ließ mich wieder fort. Der Kanzler
sah recht wohl aus und war freundlich wie immer. Er kam mir
einige Schritte entgegen, gab mir die Hand und fragte lächelnd:
„Na, sind Sie noch immer der Meinung, mir mit dem Buche einen
Dienst geleistet zu haben?“
„Ja, Durchlaucht — erwiderte ich —, bei allen rechtlich den-
kenden und gescheiten Leuten."
Wir setzten uns an den Schreibtisch, und er sagte: „Ja, das-
sind aber nicht viele. Auf die andern muß es den Eindruck machen,
als ob ich ein bitterer, immer kritisierender, neidischer Mensch wäre,
*) Vgl. Grenzboten 1879 Nr. 1 „Bismarck und das Manchestertum“ und-
Nr. 5 „Freihändlerische Polemik.“