Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

560 Sechsundzwanzigstes Kapitel 6. Okt. 1879 
Sechs Minuten nach ein Uhr ließ er mich durch Theiß zu sich 
hereinrufen, wo ich etwa dreiviertel Stunden verweilte. Er war in 
Zivilkleidung und offenbar in guter Stimmung. Als er mir die 
Hand gab, fragte er: „Na, wie geht es Ihnen, Herr Doktor? Was 
machen die Patienten?“ 
Ich: „Patienten? Was meinen Sie damit, Durchlaucht?“ 
Er: „Nun, die Zeitungen."“ 
Ich: „Die sind so krank, wollte sagen, so dumm wie immer.“ 
Er: „Nun im Auswärtigen Amte kann man jetzt auch den 
Doktor brauchen. Da wirds jetzt still werden, Bülow ist schwer 
krank und wird wohl nicht wieder aufkommen. Den werde ich nicht 
wieder sehen nach seinem Urlaub. Und mir ist Gastein auch nicht 
gut bekommen. Ich habe dort zu viel arbeiten müssen und doch 
nichts erreicht. In Kissingen war ich recht wohl, aber jetzt — mit 
meiner Gesundheit stand es, als ich nach dem Reichstage von Berlin 
wegging, besser als heute. Es war schon 77 so mit mir. Ich 
bekam damals längern Urlaub, aber die Geschäfte folgten mir nach, 
wie ein Schatten. Und mit Radowitz steht es auch nicht gut; der 
klagt ebenfalls und muß ausspannen. Es ist jetzt die Rede davon, 
unter den Gesandten Ersatz oder Vertretung zu gewinnen, man hat 
an Alvensleben und an Stirum gedacht, auch an Schlözer, der beim 
Kronprinzen wohlgelitten ist. Das Ministergewerbe greift bei uns 
an, sie sterben sogar bisweilen daran, wie Brandenburg nach den 
Warschau-Olmützer Vorgängen. Es werden viel Nerven gebraucht, 
besonders im Auswärtigen Amte, unter dem alten Herrn. Immer 
wieder Friktionen. Es war auch früher einmal so, wo drei Minister 
geisteskrank wurden.“ Er nannte sie, darunter Canitz, dann fuhr 
er fort: 
„Auch andre Minister sind jetzt aufgebraucht, z. B. Falk, der 
eigentlich nur aus Erschöpfung und Arger abgegangen ist.! Über 
mich kann er sich nicht beklagen, ich stand in allen Fragen auf 
seiner Seite. Aber der König, der trat ihm fortwährend entgegen, 
wenn er was durchsetzen wollte. Ich habe ihm geraten, das nicht 
so schlimm zu nehmen. Er sollte sagen, wenn der Allergnädigste 
ihm einen Befehl schickte, den er ausführen sollte — da sollte er 
  
1 S. G. u. E. II, 131.
	        
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