Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

6. Okt. 1879 Sechsundzwanzigstes Kapitel 561 
vorstellen, den müßte er unterschreiben, wenn er verfassungsmäßig 
aussehen sollte, und das ginge gegen seine Überzeugung, und dann 
abwarten, was geschähe. Aber er ist zu verletzlich, und so hat 
er seine Entlassung verlangt — eigentlich wegen einer Kleinigkeit, 
weil ein Herer in die Direktion der Generalsynode (5) ge- 
wählt worden war, der Unterschriften zu einer Adresse gegen ihn 
gesammelt hatte. Aber der letzte Grund war seine Erschöpfung und 
sein Verdruß, daß er mit dem Könige nicht vorwärts kam. Mit 
Friedenthal war es etwas andres. Der war ein intriganter Mensch, 
den ich gern gehen sah. !1 Bei Hofe, wo seine Frau mit der Kaiserin 
zusammensteckte, hätte man ihn gern gehalten, und in seine Sache 
mengte sich der Kaiser nur wenig. Wieder anders steht es mit 
Hobrecht. Der ist zurückgetreten, weil er wohl seine unzureichende 
Befähigung selbst erkannte. Er war seiner Aufgabe sehr wenig ge- 
wachsen, auch zu weich für die vielen widerstrebenden Elemente in 
seinem Ministerium. Bei uns im Auswärtigen Ministerium ists 
aber am schlimmsten. Da hören die Friktionen nicht auf. Ich bin 
so gemacht, daß ich das siebzehn Jahre ausgehalten habe; aber 
Bülow, der während meines Urlaubs die Geschäfte führte und immer 
auf Hindernisse stieß und auf Einreden, wenn er was fertig hatte. 
Er leidet am Rückenmark und wird daran zu Grunde gehen."? 
Er hielt einen Augenblick inne, dann fuhr er fort: „Das 
kommt vorzüglich von der Eingenommenheit unsers gnädigsten Herrn 
für Rußland. Ich bin auch russisch, aber nicht blind russisch wie 
der Kaiser, neben dem nur sein Herr Bruder, der Prinz Karl, und 
die Prinzessin Alexandrine stehen, sonst kein Mensch am Hofe. Er 
sieht nicht und hört nicht, und keine Vorstellungen verfangen bei 
ihm, keine Beweise. Er ist nach Alexandrowo gegangen, trotzdem 
daß ich wiederholt ganz entschieden dagegen protestierte.3 Sie rüsten 
in Rußland ganz gewaltig, haben das Heer vermehrt, um viermal- 
hunderttausend Mann, soviel wie die deutsche Armee im Frieden. 
Eigentlich zwar nur um fünfundsiebzigtausend, aber das sind bloß 
die Kadres. Sie können jetzt vierundzwanzig neue Divisionen auf- 
1 Vgl. G. u. E. II, 196/97. Friedenthal und Falk erhielten am 13. Juli 
1879 ihre Entlassung. 
2 Bülow starb am 20. Oktober 1879. G. u. E. II, 195. 
3 G. u. E. II, 220. 
Busch, Tagebuchblätter II 36
	        
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