562 Sechsundzwanzigstes Kapitel 6. Okt. 1879
stellen, das sind zwölf Armeekorps. Und in der Nähe der West-
grenze steht eine Masse von Reiterei, mit der sie in drei Tagen
bei uns sein können. Die Berichte sind sicher, und der Kaeiser
kennt sie, glaubt aber nicht daran. Sie haben ihn in Alexandrowo
mit sentimentalen Redensarten, Erinnerungen an die Königin Luise
gerührt, sodaß er von der Gefahr wegsieht und nichts mit ihm
anzufangen ist. Und doch ists so deutlich. Gegen wen sind diese
Rüstungen gerichtet? In Petersburg sagen sie, Konstantinopel muß
in Berlin erobert werden. Andre sagen, wir müssen auf Wien
marschieren, und der Weg dahin geht über Berlin. Da müssen
wir eine Anlehnung suchen, und die ist gegeben. Und die Ver-
ständigen unter den zweiundvierzig Millionen Deutschen würden am
liebsten mit Rußland und Österreich zugleich gehen. Wenn man
aber unter beiden zu wählen hat, so weist alles auf Osterreich hin:
nationale Gründe und andre. 1 Dort sind neun oder zehn Millionen
Deutsche, und die Ungarn sind ebenfalls entschieden für uns; selbst
die Tschechen wollen wenigstens nicht russisch werden, höchstens das
Dutzend Intransigenten, die nichts bedeuten. Und selbst wenn
Osterreich ganz flawisch wäre, Rußland ist für sich stark, und wir
können ihm nicht viel nützen. Osterreich ist der Schwächere von
beiden — obwohl immerhin ein guter Bundesgenosse —, und wir
können ihm viel nützen. Es kann auch uns eine Stütze sein in
meiner Friedenspolitik. Wenn wir zusammen mit unsern zwei
Millionen Soldaten Rücken an Rücken stehen, wie ein Karree, dann
sollen es die mit ihrer nihilistischen Politik wohl bleiben lassen, den
Frieden zu stören. Die deutschen Fürsten haben den Gedanken eines
solchen Zusammenstehens sehr wohl ausgenommen.? In England
ist man damit ganz einverstanden. Frankreich ist jetzt offenbar
gleichfalls friedfertig, aber wie lange? Der Kronprinz ist ganz
meiner Meinung; es verstünde sich von selbst, daß man sich mit
Osterreich zusammenstellen müsse, sagte er. Nur der Kaiser wider-
strebte lange.
Ich bemerkte, die zweiundachtzig Jahre des alten Herrn wären
wohl auch in Anschlag zu bringen.
1 Siehe das Kapitel „Der Dreibund“ in den G. u. E., II.
* G. u. E. II, 238 ff. (Korrespondenz mit König Ludwig von Bayern.)