Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

9. März 1880 Sechsundzwanzigstes Kapitel 569 
Er hielt sich die Brille vor die Augen und sagte: „Achtzehn — nein, 
Sie haben recht, neunzehn. Ich kann nicht ausgehen, obwohl ich gern 
möchte. Ich fürchte mich zu erkälten. Doch sollte ich mich wohl 
einmal im Reichstage sehen lassen, ihnen die Ehre erzeigen. Aber 
ich habe keine Lust. Mir gefallen ihre Korpsmanieren nicht. Immer 
steht ihnen die Fraktion in erster Linie, die ist das, worum sich 
bei ihnen alles dreht. Das ist bei den Konservativen so wie bei 
den Liberalen. Statt mit den Nationalliberalen zu gehen, wo die 
Führer des linken Flügels offenbar den frühern Einfluß nicht mehr 
besitzen, statt sich ihnen wenigstens zu nähern, gehen die Konser— 
vativen lieber mit dem Zentrum. Auf die ist doch aber kein Verlaß. 
Ich will den Frieden auch, aber wenn man denen noch so viel 
zugesteht, werden sie doch nicht zu gewinnen sein, so lange bei uns 
noch ein protestantisches Kaiserhaus regiert. Bennigsen hält sich 
mit seinen Leuten gut. Mit Rickert und dem kleinen Juden Lasker 
ists freilich nichts. Doch hat der sich Stosch gegenüber immerhin 
verständig benommen. Auch Hänel, der doch sonst nach oben sieht 
(nach dem Kronprinzen), man hätte ihn ganz anders behandeln 
sollen, Stosch, den —. Aber sie sind servil. Die Fraktion der 
Freikonservativen ist zwar die Partie der vornehmen und reichen 
Leute, und sie und die andern Konservativen hätten die Pflicht, 
wenn etwas wirklich dumm und schlecht ist, dagegen vorzugehen, 
sonst können sie sich nicht halten. Aber sie sind alle servil, geheime 
Hofkonservative, öffentliche Hofliberale. Sie thun ihm nichts, weil 
sie glauben, daß er beim Zukünftigen gut angeschrieben steht, was 
doch eigentlich nicht der Fall ist.“ 
Ich bemerkte, das wäre ja fast so wie in England, wo sie vor 
der Königin auch niederknieten und auf dem Bauch kröchen und selbst 
zu dem Prinzen von Wales mit Devotion emporblickten. 
Er entgegnete: „Ja, fast so. Aber das dort ist unschuldig. Die 
Königin hat in Staatssachen wenig hineinzureden, kann an der Po— 
litik des jeweiligen Ministeriums nichts ändern. Darin geben sie dem 
Hofe nicht nach, schonen sie nicht Leute, die nichts taugen, bloß 
weil sie dort beliebt sind, wie bei uns. Und beliebt ist er nicht 
einmal beim Zukünftigen. Er wird nur gehalten, weil er ein hoch- 
gradiger Freimaurer ist. Ich habe das auch mit andern erlebt, 
die nichts taugten, aber hohe Grade hatten. Er hat das Ab-
	        
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