Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

576 Sechsundzwanzigstes Kapitel 22. März 1880 
Mächte — Rußland, das an seinen viermalhunderttausend Quadrat— 
meilen nicht genug hat und dazu erobern möchte. — Na, weiter 
wüßte ich Ihnen heute nichts zu erzählen.“ 
Ich versetzte: „Ich dachte, ich würde einmal Auftrag erhalten, 
etwas über den Papstens zu schreiben.“ 
„Ja — erwiderte er —, da kann man sagen, daß man die 
Nachgiebigkeit Leos nicht zu hoch schätzen darf. Nicht bloß die 
Germania, sondern auch die Fortschrittsblätter thun das, aber nur 
der Opposition wegen, damit sie sagen können: Seht, die Kurie 
will den Frieden, aber der Reichskanzler will nicht. Der jetzige 
Papst ist allerdings verständiger und vielleicht milder als der vorige, 
aber seine Außerungen in dem Briefe! sind doch sehr vieldeutig und 
im ganzen mehr akademisch als praktisch. Was hilft uns das, 
wenn er sagt: „Ich glaube, ich werde in dies oder das einwilligen 
können?“ 
Er zitierte einen lateinischen Satz in Bezug auf die Anstellung 
von Priestern, worin die Worte sollicitudo und creat oder vocat 
vorkommen, und fuhr fort: „Und wer bürgt uns dafür, daß das 
so zu deuten ist, wie es gedeutet wird? Dann aber, wer steht uns 
dafür, daß der Nachfolger ebenso denkt? Das ist tausend Jahre 
so gewesen in der Kirche und wird immer so bleiben, solche Ansprüche. 
Ein Papst kann die alte Politik friedfertiger treiben, einer gröber 
und gebieterischer, im Grund und Wesen ists immer dieselbe. Die 
Maigesetze müssen bleiben, aber wir können sie, wenn man in Rom 
Mäßigung zeigt, gelinde handhaben — ein modus vivendi. Manche 
Leute möchten aber unter allen Umständen Frieden haben, auch mit 
einem Kanossa — aus Bequemlichkeit. So z. B. der Minister des 
Innern und der Kronprinz. Der möchte vor allem Ruhe haben . 
Der will nicht in die Schlacht. Es ist da wie früher mit dem 
Septennat in der Militärsache. Da wollte er Bewilligung für immer, 
bloß, um keinen Streit zu erleben; denn er dachte, in den nächsten 
Jahren komme er daran, und das denkt er auch jetzt; denn der 
alte Herr kann doch nicht neunzig Jahre alt werden.“ 
In diesem Augenblicke kam die Fürstin ins Zimmer und zeigte 
ihm ein Papier, das sich auf die heutige Geburtstagsfeier zu be- 
  
1 Dem Breve vom 24. Januar 1880 mit dem Zugeständnis der Anzeigepflicht.
	        
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